Man nehme eine Handvoll Reis, Olivenöl, Schalotten, Hühnerbrühe, Wein, Salz, Pfeffer, Parmesan, Butter fürs geschmackliche i-Tüpferl, mache den Herd an – und das Ergebnis ist entweder eine belanglose Reispampe oder eine Risotto genannte Köstlichkeit von sanfter kulinarischer Erotik.
Ein Risotto ist ein Risotto ist ein Risotto? Niemals! Signora Grazia, die Köchin in einer von Restaurantführern noch nicht entdeckten Trattoria in einem versteckten Winkel Piemonts, schüttelt es vor Entsetzen bei dem Gedanken, ihr Risotto könne mit einem x-beliebigen aus irgendeiner Konfektionsküche in den gleichen Topf geworfen werden. Ihr Herd steht nicht weit weg von den Reisfeldern zwischen Novara und Vercelli, wo im März ausgesät wird und jene Sorten wachsen, mit denen Mamma Grazia ihren einmaligen Risotto macht. Wer je davon aß, wird ein Leben lang danach süchtig sein.
Einen guten Risotto kriegt bald einer hin. Zur begehrenswerten Köstlichkeit wird das Gericht freilich erst durch die glückliche Übereinstimmung von drei Dingen: Moral, Handwerk, Zutaten. Ersteres ist wichtig, weil ein Risotto immer à la minute zubereitet werden muss. Wird er vorgekocht und aufgewärmt oder warm gehalten, dann schmeckt er auch so, nämlich undelikat, müde, dumpf. Ein bisschen handwerkliches Talent ist vonnöten und viel Geduld, damit der Risotto weder trocken noch zu breiig auf den Tisch kommt. Dickflüssig soll er sein und cremig, doch nicht pappig; das einzelne Korn muss noch Biss haben, der Risotto „Wellen schlagen“ beim Ankippen des Tellers. Das nennt man „all‘onda“ für perfekte Konsistenz.
Voraussetzung Nummer eins für einen Risotto, der die Seele glücklich schwingen lässt, ist naturgemäß der Reis. Promovierte Risottisten verwenden nur die vornehmsten italienischen Körner. Die heißen „Vialone nano“, „Carnaroli“ und “Arborio”. Der halbfeine “semifino” Vialone nano hat dicke, runde Körner mit hohem Stärkegehalt. Er nimmt schätzungsweise die vierfache Menge seines Volumens an Flüssigkeit auf, ohne dass er klebrig wird. Der superfeine „superfino“ Carnaroli ist länglich im Korn und bindet weniger Flüssigkeit, etwa knapp die dreifache Menge. Diese Sorten zeichnet aus, dass sie außen weich werden, doch innen lange den erwünschten festen Kern behalten. Über exzellente Quelleigenschaften verfügt auch der spanische „Arroz Bomba“, dessen kleines Korn eine verblüffende Eigenschaft aufweist: es vergrößert sich beim Kochen um das Zwei-bis Dreifache.
Risotto „Bomba“ à la Elfie Casty
Für zwei Personen in Butter (oder feinstem Olivenöl) je eine klein geschnittene Frühlingszwiebel und Knoblauchzehe zu goldener Farbe anziehen lassen, 100 g „Arroz Bomba“ sowie 1 Thymianzweiglein zufügen, mit 4 dl mäßig gesalzener Bouillon auffüllen und zugedeckt bei kleiner Hitze während 20 Minuten garen. Danach ½ dl Weißwein und 1 Msp. Safran untermischen und den Reis neben dem Herd zugedeckt etwa 10 Minuten ruhen lassen. Zurück auf dem Herd, das Thymianzweiglein entfernen, danach bei großer Hitze das Fleisch von 2 großen geschälten, entkernten und feinst gewürfelten gelben (oder normalen, aromatischen) Tomaten zufügen und den Reis mit 1 EL Parmesan und einem Stück Butter kurz zu sämiger Konsistenz rühren.
Einer von Italiens besten Reisproduzenten, Dr. Mario Gennari aus Basiglio nahe Mailand, erklärt das so: „Die Phase zwischen optimalem Garpunkt und dem Beginn des Zerkochens ist bei Vialone nano und Carnaroli deutlich länger als bei anderen Reissorten. Sie beträgt zwischen zehn und fünfzehn Minuten.“ Anders gesagt: Mit Reis, der laut Werbung auch nach dem Kochen noch rieseltrocken ist, wird niemals ein Risotto gelingen. Solche Sorten mögen als Beilage angenehm sein, doch ein Korn, das nichts Flüssiges aufzunehmen vermag, weder Wein noch Fett oder Brühe, bleibt oberflächlich. Bei dem Gedanken an solche Qualität schüttelt sich Gabriele Ferron, der in seiner Mühle in der Bassa Veronese traditionell besten Reis herstellt, darunter den raren, nussig angehauchten Vialone Nano Lavorato ai Pestelli, den Liebling der Kochkünstler zwischen Verona und Mailand.
Nun ist es ja kein Zufall, dass sich um den Risotto unendlich viele Geschichten ranken. Das hat zum einen mit den vielen Variationsmöglichkeiten zu tun. Zum anderen nähren sich die Legenden aus der simplen Tatsache, dass jeder Koch und jede Köchin den eigenen Risotto für den besten hält. Das ist natürlich Geschmackssache, darüber lässt sich fröhlich und mit vollem Mund streiten. Schwieriger wird die Diskussion, wenn Puristen am Tisch sitzen, die überhaupt nur eine Art gelten lassen, nämlich den Risotto bianco, zubereitet mit Geflügelfond sowie Parmesan (und weißer Trüffel, sofern es Saison und Geldbeutel erlauben). Der gilt wohl als die Hochform der Risotto-Disziplin, aber so religiös muss man das wirklich nicht sehen. Doktrinarismus ist in der Küche sowieso fehl am Platze, einzig die Qualität der Zutaten darf als unumstößlich gelten.
Auch die gerne im Oberlehrerton vorgebrachten Thesen für die einzig wahre Zubereitung, als gäbe es ein absolutes Rezept, schrecken den Amateurkoch eher ab als dass sie animieren. Betrachten wir das Dekret des Rührens: In den meisten Rezepten wird mehr befohlen als empfohlen, den Risotto unentwegt zu rühren, selbst dann noch, wenn der Arm schmerzt. Es ist schon richtig, dass Umrühren unerläßlich ist, will man das Andicken oder Anbrennen von Reis vermeiden. Doch das heißt noch lange nicht, dass der Rührprozeß pausenlos erfolgen muß. Zwingend erforderlich ist der Rührlöffel am Anfang während des Andünstens von Schalotten sowie Reis – und danach, sobald die Brühe auszutrocknen droht. Mancher Koch gießt sogar die gesamte Brühe auf einmal über den Reis und lässt den nach einem kurzen Aufkochen zugedeckt ungerührt fertig köcheln. Angelo Conti Rossini (Brissago, 1923-1993), ein genialer Koch und nobler Mensch, hat mal schelmisch gemeint, die Rühr-Order sei Männern eingefallen, um ihre Frauen in Atem zu halten.
Risotto & Wein
Die Wahl des Getränks hängt naturgemäß von der Art des Risottos ab, also lassen sich Empfehlungen nur in gebündelter Form geben. Generell passen Weine, bevorzugt weiße, mit geschmeidiger Fülle wie beispielsweise reife Chardonnays, Grüner Veltliner und kräftige Rieslinge vom Typ Spätlese, Neuburger aus dem Burgenland, Weiß- und Grauburgunder, Silvaner (Spätlesen, trocken oder mit zarter Restsüße), Sauvignon blanc (sobald Meeresfrüchte und speziell Gemüse wie Erbsen und Spargel beziehungsweise Grünes wie Bärlauch oder Rucola ins Spiel kommen), Chablis, Gavi. Man probiere einen Traminer zu einem Risotto mit Safran oder Rosen. Zu einem Tomatenrisotto wird sich ein Rosé gut machen, ob still oder schäumend. Auch Schaumweine, sofern die ausgereift sind und ihr jugendlich-ungestümes Prickeln etwas abgelegt haben, sind als Begleiter vorzüglich geeignet, um aus einem Risotto ein lebensbejahendes Fest zu machen.
So etwas wie ein Ur-Risotto gibt es nicht, wohl jedoch eine Art von Basisrezept, und das sieht laut Signora Grazia so aus, angelegt für vier Personen als Zwischengericht: Eine schwere Kupferpfanne mit Knoblauch ausreiben, darin Olivenöl (etwa zwei Esslöffel) plus etwas Butter (einen Esslöffel) erhitzen und eine mittelgroße, fein gehackte Schalotte leicht andünsten (nicht braun werden lassen). Danach 200 Gramm Vialone nano (trocken, ungewaschen), dazugeben und unter sorgfältigem Rühren mit einem Holzlöffel sanft erwärmen, bis er rundum zartglasig ist.
Nun einen Thymianzweig hinzufügen, ferner 2,4 Deziliter sehr heißen Geflügelfond und den Reis unter ständigem Rühren quellen lassen. In manchen Rezepten wird empfohlen, den trocken eingerührten Reis, bevor die Brühe zum Einsatz kommt, mit trockenem Sherry abzulöschen. Das klingt nicht übel, aber Mamma Grazia hält nichts von solchen Anreicherungen. Sie löscht den Durst der immer noch nach Flüssigem gierenden Reiskörner mit weiteren 1,1 Deziliter Geflügelfond und sechs Zentiliter trockenem Weißwein guter Herkunft, wobei zu beachten ist, dass Brühe & Wein nicht auf einmal, sondern nach und nach dazugegeben werden sollen – unter Rühren, versteht sich.
Der Reis soll köcheln, die Brühe nur leise blubbern und stets knapp unterhalb des Siedepunktes gehalten werden. Zu viel Hitze schadet der Konsistenz wie dem Aroma. Und: immer wieder nach oben und unten sowie nach den Seiten hin rühren. Nach insgesamt etwa fünfzehn bis achtzehn Minuten ist der Risotto vom Biss her gut. „Und nun“, so lächelt Signora Grazia, „nun rühren wir zügig 60 Gramm kalte Butterwürfelchen ein und schmecken mit Parmesan (natürlich frisch gerieben, etwa ein Esslöffel, es darf auch ein Grana sein), Salz und ein bisschen weißem Pfeffer aus der Mühle ab.“
Wer will, kann den Risotto kurz vor dem Auftragen auch mit drei Tränen eines alten Marsala oder süßem Madeira parfümieren.
Ein großer Klassiker ist der mit Safran und Ochsenmark angereicherte Risotto nach Mailänder Facon. Der läßt die Magensäfte schon beim Gedanken daran sehnsüchtig schnurren. Oder die Zubereitung „alla Finanziera“, ein legendäres Rezept mit mittelalterlichen Wurzeln. Dazu werden Mägen und Kämme von Hähnen mit Entenherzen, Schalotten, Spitzmorcheln und Kaninchenleber nebst Gewürzen ragoutmäßig in Öl angebraten und danach im Risotto vervollkommnet. Und selbstverständlich darf in einen Risotto die Phantasie des Kochs einfließen. Sei es, dass die Gewürznote variiert wird oder anstelle der Steinpilze und der Trüffel je nach Saison auch Erbsen, Muscheln, Algen, Spargel, pürierter Kopfsalat, Radiccio, Spinat, rote Bete, Kalbsbries, Fische, Meeresfrüchte und dergleichen Näschereien hinein gemischt werden. Bei der das Aroma mitbestimmenden Zutat darf Kreativität gezeigt werden, sofern die Klarheit des Geschmacks erhalten bleibt, was heißt: Mischmasch ist verpönt, ein Risotto ist keine „Pizza mit allem“.
Ein Versprechen auf den Frühling. Die Hälfte der Morcheln wird geviertelt und mit den Schalotten in Butter angeschwitzt, bevor der Reis hinzugefügt und mit Weißwein sowie einer Gemüsebrühe aufgegossen wird. Die restlichen Morcheln werden in Butter gar gebraten und über den Risotto gegeben
Köche unterliegen im Drang nach Originalität verständlicherweise schon mal der Versuchung, Locken auf einer Glatze zu drehen. Aber bitte, gegen gelegentliche Ausflüge abseits der klassischen Risotto-Nomenklatur ist nichts einzuwenden, also Bühne frei für: Morchelrisotto, Safranrisotto mit Minze, Risotto mit Rosenblüten, Risotto mit Speck und Portweinfeigen, Zwiebelrisotto, Kürbis-Ingwer-Risotto, Risotto mit Champagneraustern, Risotto alla Pilota (mit Schweinefleisch), Risotto mit schwarzen Trüffeln und Taubenragout, Graupenrisotto mit Muskatkürbis plus Rehhaxe und Berberitzensauce, Pfahlmuschelrisotto, Gewürzlammrisotto, Zitrusfruchtrisotto mit Angelkabeljau (saisonal aktuell empfiehlt sich der Skrei mit seinem zugleich festen und saftigen Fleisch), Rotweinrisotto mit Rotbarben und grünem Spargel, Tomaten-Risotto (dafür wird die Hälfte der Brühe durch Tomatensaft ersetzt und werden dem Risotto kurz vor dem Ende des Garprozesses klein geschnittene Tomaten nebst einigen Oliven und Basilikum hinzugefügt).
Von Nino Cerruti, dem großen Modemann, stammt die Erkenntnis, dass Risotto ein Eigenleben hat: „Er ist sensibel und temperamentvoll, verlangt deine volle Aufmerksamkeit – wie eine elegante Dame. Dreht man ihm auch nur einmal kurz den Rücken zu, ist er gleich beleidigt, angebrannt, verklumpt. Das, was unten ist, muss man durch sanftes Rühren immer wieder nach oben holen und gleichzeitig das, was oben ist, nach unten bringen.“ Und wenn Cerruti für Gäste am Herd stand und unermüdlich im Topf rührte, waren darin der beste Reis, die feinste Butter, die edelsten Zwiebel, die aromatischste Geflügelbrühe, schließlich frisch geriebener Parmesan – und dann, ja dann zauberte der Hobbykoch eine große weiße Trüffel aus Alba hervor, die mit Andacht über den Risotto gehobelt wurde.
Perfekt ist der Risotto gelungen, wenn er von dickflüssiger, cremiger Konsistenz ist – aber nicht so dick, dass der Holzlöffel darin stecken bliebe. Das einzelne Korn muss noch erkennbar sein und den berühmten Biss haben. Seidig weich hat der ideale Risotto zu sein und die Reismasse muss glänzen wie das Fell einer Siamkatze. Tut er das? Wie schön, dann sollte der Risotto unverzüglich aufgetragen werden. Die Gäste sitzen schon am Tisch, wohl wissend, dass sie zu warten haben und nicht der Risotto, der frisch vom Herd am besten schmeckt.
kafel