„Was haben denn die Gäns getan, daß so viel’ Leben müssen lan?“ Das fragt ein Sänger in der Renaissance und gibt etwas ungelenk auch gleich die Antwort: „Weil sie Sankt Martin han verraten, darum tut man sie braten.“
Foto: Mouton Cadet Baron Philippe de Rothschild
Die Gans ist ein sagenhafter Vogel, wie jeder weiß, der Märchen gelesen hat. Klug soll sie sein, wachsam, anhänglich, mutig. Wie brav, wie tüchtig, nur: Den Feinschmecker interessiert eher, was Max Frisch in seinem Drama „Biedermann und die Brandstifter“, sagen lässt: „Gans und Pommard! – dazu gehört eigentlich bloß noch ein Tischtuch“. Das klingt schon reeller, denn ihre allerschönste Tugend zeigt die Gans im Bratrohr und, fertig gebrutzelt mit goldbrauner Kruste, im Verein mit einem Wein von samtener Fülle wie beispielsweise einem roten Burgunder – Frisch hatte völlig recht. Adalbert Stifter erkor Gänse zu seiner Lieblingsspeise und aß, wenn er, wie meist, bei gutem Appetit war, gemeinsam mit seiner Angetrauten faxenlos auch gleich zwei Stück am Tag. Wilhelm Busch dichtete ebenso esslüstern wie artig: „Ein jeder, der Verstand hat, spricht: Einen schön’ren Vogel gibt es nicht.“
Hoch im Kurs stand das Tier schon bei den alten Ägyptern, die meinten, eine Gans habe einst das Weltei gelegt. Nur Pharaonen und Priester durften sich an Gänsebraten laben, was zeigt, dass die Mächtigen es schon früh verstanden, Delikates einfach per Dekret zum religiösen Tabu zu erklären, um es als leckere Exklusivität für sich zu reservieren. Die Römer verspeisten den Vogel mit Genuß, obwohl sie ihm zur Dankbarkeit hätten verpflichtet sein müssen, weil eine Schar Gänse 387 vor Christus laut schnatternd das Capitol vor nächtlichen Angreifern rettete. Die Gänse wurden, der Juno geweiht, gemästet und genudelt, damit sie die begehrte Stopfleber entwickelten. In Altindien galt die Gans keineswegs als dumm, sondern als überaus gescheiter Berater von Brahma, dem Verfasser der heiligen „Veden“; das half ihr allerdings so wenig wie die bei den Griechen vollzogene Zuordnung des Vogels zur Liebesgöttin Aphrodite.
Wie kaum ein anderes Tier beweist die Gans (lat.: Anser anser), dass Verehrung und Verzehr sich gegenseitig nicht ausschließen müssen. Daß die Gans seit jeher zu den beliebtesten Braten zählte, belegt auch die Einstellung der Brüder Grimm zum Thema: „Als lebende Hausgenossen gelten sie ziemlich wenig, aber gerupft und gebraten werden sie hochgehalten.“
Solche gastronomische Prosa erklingt nun wieder in zahlreichen Küchen, denn allein am 11. November, dem Tag des heiligen Martin, werden zahlreiche Gänse in deutschen Bratröhren landen und mehr oder weniger gelungen ihrer Vollendung entgegen garen. Und zwischen St. Martin und Weihnachten dürften schätzungsweise rund drei Millionen Gänse in deutschen Bratröhren brutzeln.
Die Legende von der Martinsgans – eine fromme Geschichte
Der Legende nach wollte Martin (316-397) in seiner Demut partout nicht Bischof von Tours werden; er versteckte sich in einem Gänsestall, ist von den Vögeln jedoch durch deren lautes Geschnatter verraten worden. Seither ziehen Kinder brauchtumsmäßig mit Laternen durch die Straßen in Gedenken an St. Martin, der – da war er noch römischer Soldat – seinen roten Mantel mit dem Schwert teilte und eine Hälfte einem frierenden Bettler gab.
Profaner und wohl wahrer als diese fromme Geschichte klingt der Hinweis auf „Martini“ als Beginn eines neuen Wirtschaftsjahres, an dem die Pachtverträge fällig wurden und die als „Zehnt“, auch „Zehent“ oder „der Zehnte“ bekannte Steuer bis in die Neuzeit hinein in Form von Geld oder Naturalien an den Grundherrn geleistet werden mußte.
Schlüssig klingt auch die Theorie, wonach sich der Brauch, an Martini eine Gans aufzutischen, aus einem Abschiedsessen auf dem Land entwickelt hat. Bis vor einigen Jahrzehnten war Martini der Zahltag für die Saisonarbeiter, also jene Frauen und Männer, die bei der Ernte geholfen hatten und nun ihren Lohn ausbezahlt bekamen. Großbauern, die es sich leisten konnten, schlachteten Gänse oder Enten für das Gemeinschaftsessen, an dem alle teilnahmen, die zusammen gearbeitet hatten. Bekanntlich erreichen Gänse ja um diese Zeit den Höhepunkt ihrer Schmackhaftigkeit. Das wußten auch schon die alten Germanen, die bei herbstlichen Dankfesten zu Ehren von Gott Wodan eine Gans opferten.
Man weiß nicht, wie die damals zubereitet worden ist – die meisten klassischen und heute noch gültigen Rezepturen sind erst im frühen 19. Jahrhundert entstanden.
„Bis zur Erfindung von Stahlfedern durch den Engländer Parry waren es die Gänse, die den Vorzug hatten, das Rohr zu liefern, durch welches die Meisterwerke menschlichen Geistes vom Gehirn aufs Papier gebracht wurden.“ (Alexandre Dumas: Das große Wörterbuch der Kochkunst)
200 Zubereitungsarten
Im „Meisterwerk der Getränke und Speisen“ von 1892 sind bereits um die 200 Zubereitungsarten aufgeführt, und der „Hering“, das nach seinem Verfasser so genannte „Lexikon der Küche“, verzeichnet mehr als dreißig Rezepte.
Auf „deutsche“ Art wird die Gans beispielsweise mit Äpfeln und Weißbrot gefüllt, mit Speck umwickelt, gebraten und auf Sauerkraut serviert.
Nach „Hamburger Art“ füllt man den Vogel vor dem Braten mit geschälten, in Butter angedämpften Apfelscheiben und entkernten Backpflaumen.
Zur schweren „Mecklenburger Art“ gehört wiederum eine Füllung aus Weißbrot mit Gänsefett, Malagatrauben, Apfelspalten und Gänseleberwürfel.
Will man die Gans nach „Bordeaux-Art“ zubereiten, wird sie delikat mit Weißbrot, Sardellenbutter, gehackter Gänseleber, gehackten Oliven, Petersilie und etwas Knoblauch gefüllt, mit Speck umwickelt und gebraten.
Die stets esslustigen Flamen umlegen die Gans mit gedünsteten Salatkugeln, olivenförmig geschnittenen Mohrrüben, weißen Rübchen, Kartoffeln sowie gekochten Fleischspeckwürfeln.
Otto von Bismarck, der starke Esser, mochte eine Füllung aus Kastanienmus und Äpfeln, nebst Weinkraut als Beilage, während die Engländer den Vogel mit Weißbrot, Zwiebeln, Salbeiblättern füllen, mit Muskat würzen und das Apfelmus separat auftragen.
Aus dem Mittelalter gibt es ein Rezept für gesottene Gans, aufgetischt in einer für diese Epoche typischen dicken süßsauren Soße aus Honig, Essig, Brühe, etwas Öl, gerösteten Mandelkernen sowie Gewürzen.
Eine unendliche Anzahl von Füllungen
Füllungen haben gewiss ihren Reiz, oft schmecken sie besser als das Drumherum. Die Variationsmöglichkeiten zum Befüllen des Bauches sind schier unendlich, von der klassischen Apfel-Zwiebel-Füllung über Innereien bis hin zu Maronen und Gehacktem mit Semmelknödelteig.
Gans pur
Wenn jedoch eine Bauerngans zur Hand ist, möglichst in deutschen Landen frei auf Wiesen aufgewachsen, nicht mit künstlichem Futter, sondern mit Getreide und vielleicht Quark zusätzlich gepäppelt, nicht älter als ein halbes Jahr, um die vier bis fünf Kilogramm schwer und von rosa-gelblicher Hautfarbe, schimmernd wie Marzipan, dann gibt es für den Feinschmecker nur eines: Die Gans im Rohr pur braten, dabei fleißig begießen, bis die Haut knusprig ist und jene glänzende Honigfarbe hat, mit der altgotische Maler die Heiligenscheine der Märtyrer vergoldet haben. So eine Gans ist ein Traditionsschmaus und obendrein ein prächtiges Stück kulinarische Erotik.
Zubereitung auf traditionelle Art nach Art der Bäuerin
Die erfahrene Bäuerin pflegte den Vogel, der zuvor eine Woche lang kalt geruht hatte, heiß abzuwaschen, zu trocknen und mit Salz innen sowie außen einzureiben. Auf Beifuß, was manche nehmen, um sich das Fett verträglicher zu machen, verzichtete sie; es war ihr zu beißend. In einer Kasserolle wird eine etwa zwei Finger hohe Melange aus Wasser mit Geflügelbrühe zum Kochen gebracht und die Gans mit der Brustseite nach unten hinein gelegt. Den Bräter ins 210 Grad heiße Rohr schieben. Nach einer halben Stunde die Gans wenden und die Hitze auf rund 160 Grad reduzieren. Nach einer weiteren halben Stunde die Haut der Gans (aber nicht das Fleisch!) rings um die Keulen vorsichtig an mehreren Stellen anpiksen, so dass überschüssiges Fett auslaufen kann. Nun die gewünschten Beilagen wie beispielsweise ganze Zwiebeln, Knoblauchzehen, Kartoffeln, Äpfel mit Schale dazutun, etwas Majoran über den Braten geben, den pfeffern und immer fleißig begießen – nur mit dem heißen Fett, nicht mit anderen Flüssigkeiten.
Ein bis zwei weitere Stunden später – abhängig vom Gewicht des Vogels – pro Kilogramm wird mit einer Stunde Garzeit gerechnet – mit der Gabel die Probe machen: Gehen die zwischen Keule und Brust gesteckten Zinken leicht heraus und ist kein Blutsaft zu sehen, ist der Braten gar. In dieser Schlußphase des Bratprozesses kann die Gans mit einem Gemisch aus Honig, Orangensaft und Weißwein bestrichen werden, was vor allem dann für eine resche Kruste sorgt, wenn der Ofen nochmals für zehn Minuten voll aufgeheizt wird. Alternativ führen auch das übliche Salzwasser, Apfelschnaps à la Calvados, Apfelsaft mit Honig oder Bier vermengt, zur Verbesserung der Kruste, von den Engländern hübsch „crunchiness“ genannt.
Es empfiehlt sich, den Braten noch 15 bis 20 Minuten im abgeschalteten Rohr rasten zu lassen, so können sich die sogenannten Kollagenfasern entspannen und der Saft bleibt im Fleisch. Man kann die Gans nach dem eigentlichen Bratprozeß auch in Alufolie wickeln und noch zwanzig bis dreißig Minuten im abgedrehten Rohr ruhen lassen – das garantiert ebenfalls besonders zartes Fleisch.
Gebratene Gans à la Eckart Witzigmann
Zutaten:
1 küchenfertige Gans nebst Gänseklein, 3 Quitten, 3 kleine Zwiebeln, 2 kleine Äpfel, ein wenig Orangen- und Zitronenschale, 1 Prise frisch geriebene Muskatnuß, Salz, Pfeffer aus der Mühle, 3 Prisen getrockneter Majoran, 4 Prisen Beifuß, 1 Bund glatte Petersilie, 1 El Quittenschnaps, 2 geviertelte Zwiebeln, 1 Karotte, ½ Sellerieknolle, 100 ml Salzwasser mit 1 El Honig vermischt.
Zubereitung:
Quitten, Zwiebel und Äpfel vierteln, Petersilie grob schneiden, mit den restlichen Gewürzen und dem Quittenschnaps vermengen. Die gewaschene, trocken geriebene Gans innen und außen mit Salz einreiben, erst die Füllung, dann eine kleine, leere Mineralwasserflasche mit der Öffnung nach vorne in die Bauchhöhle schieben (dieser Trick verringert die Garzeit).
Die Öffnung zunähen. Den Ofen auf 160-180 Grad vorheizen. Das Gänseklein hacken, auf den Boden des Bräters geben, die Gans auf der Keulenseite hineinlegen, mit kochendem Wasser übergießen und für insgesamt cirka 3 Stunden ins Rohr geben. Nach 1 ½ Stunden die Gans auf die andere Keule legen, die kleinen Zwiebeln, Sellerie und Karotte (jeweils grob gewürfelt) hinzugeben, dabei aufpassen, dass immer Flüssigkeit im Topf ist. Das Fett abschöpfen. Die Gans an den dicken Stellen mit der Gabel einstechen, damit weiteres Fett austreten kann. Sobald sich die Keulen weich anfühlen, die Gans mit der Brust nach oben auf einen Rost und diesen auf ein Bratblech geben. Die Gans mit dem Salzwasser-Honig-Gemisch bepinseln, wieder ins Rohr schieben und knusprig fertig braten. Die Sauce passieren, eventuell Fett abschöpfen und alles langsam einköcheln lassen. Schmeckt ideal mit Knödeln aller Art und Blaukraut.
Schmalz – „schlesischer Kaviar“
Vor dem Servieren das Fett klären, abgießen. Ergibt nach dem Abkühlen ein leckeres, obendrein gesundes Schmalz, auch „schlesischer Kaviar“ genannt. Es ist unentbehrlich bei Bratkartoffeln sowie vielen Kohlgerichten. Auch einem Risotto verleiht Gänseschmalz einen feinen Geschmack.
Die Bratrückstände ergeben eine herzhafte Sauce
Und mit dem Fond sowie den abgekratzten Bratrückständen (das sind Röststoffe mit viel Geschmack) kann eine herzhafte Sauce entstehen (angereichert mit etwas altem Sherry).
So machten es die böhmischen Köchinnen seinerzeit.
Die alten böhmischen Köchinnen haben die Gans vor dem Braten leicht angekocht. Andere schwören auf eine Marinade aus Weißwein, Geflügelbouillon und Honig, in die sie die Gans zwei Tage lang vor dem Braten einlegen.
Der Trick des Hans Haas (und Witzigmann):
Hans Haas, bis zu seiner Pensionierung langjähriger Spitzenkoch im Münchner Kult-Restaurant „Tantris“, schiebt vor Beginn des Bratprozesses eine kleine, leere Mineralwasserflasche mit der Öffnung nach vorne in die Gans und näht die Öffnung zu; dadurch werden laut Haas auch die Fleischteile von innen gegart und an den Keulen wesentlich zarter.
Gänseconfit:
Klassisch wird das Confit aus frischen Keulen zubereitet, die, mit einer im Mörser zerstoßenen Würzmischung aus Lorbeer, ordentlich Meersalz, Pfeffer, ein wenig Zucker, zerdrückten Knoblauchzehen und Thymian eingerieben, abgedeckt 18 bis 24 Stunden lang an kühlem Ort liegen und, nachdem sie von der Marinade befreit und trocken getupft worden sind, in reichlich Gänsefett (beziehungsweise fein gewürfeltem Schweinespeck, falls nicht genügend Gänseschmalz verfügbar ist) – mit weiteren Gewürzen à la Lorbeer, Thymian und etwas Nelke bei mittlerer Hitze zwei bis drei Stunden lang geschmort. Die Fleischstücke, die vollständig bedeckt sein müssen, werden dabei gelegentlich gewendet.
Die Keulen, nachdem sie etwas abgekühlt sind, kommen danach in ein großes Einmachglas und werden mit dem von den Gewürzen befreiten Fett komplett übergossen.
Schmackhafte Resteverwertung
Bleibt von einer bereits fertig gebratenen Gans einiges an Fleisch übrig, idealerweise Keule und Flügel, aber auch Stücke von der Brust eignen sich, so läßt sich daraus ebenfalls ein leckeres Confit zubereiten: Bei moderater Hitze in einigen Löffeln Gänseschmalz eine oder zwei gehackte Schalotten (hängt von der Menge des Fleisches ab) und je nach persönlichem Geschmack eine zerdrückte Knoblauchzehe andünsten, dann das enthäutete und mundbissengroß zerlegte Fleisch hinzufügen. Nach und nach weiteres Gänsefett dazu geben, zuzüglich einem Lorbeerblatt, etwas Thymian (oder Majoran), Salz und Pfeffer sowie dem Abrieb einer Limone (nach Gusto kann man auch etwas Apfel der säuerlichen Art hinein reiben). Einmal kurz aufkochen lassen, das Lorbeerblatt entfernen, das Ganze in Gläser füllen und die verschließen.
Der passende Wein
Als Partner zur gebratenen Gans zaubert der Lebenskünstler entweder einen großen Champagner herbei oder einen Weißwein von wuchtiger Struktur. Das kann eine trockene oder nur zartsüßliche Riesling-Spätlese vom Rhein oder der Pfalz sein, ein burgundischer Chardonnay, ein Grauburgunder, auch ein Grüner Veltliner oder Riesling der Gütestufe „Smaragd“ aus der Wachau (beste Winzer: Knoll, Hirtzberger, F.X. Pichler, Alzinger, Prager, Nikolaihof) oder aus Langenlois (Spitze: Bründlmayer, Schloß Gobelsburg).
Nie verkehrt ist ein Rotwein und hier vor allem ein Spätburgunder alias Pinot Noir wie beispielsweise ein reifer burgundischer Pommard aus bestem Jahr à la 1985, 1988, 1990, 1993, 1995, 1996, 1999, 2002, 2003, 2005, 2007, 2009. Auch ein Spätburgunder von der Ahr, aus Baden, der Pfalz oder Assmannshausen im Rheingau wird ein angemessen guter Begleiter sein, speziell aus guten Jahrgängen wie 1999, 2001, 2003, 2004, 2005, 2008, 2009 und 2011.
Eine gut gebratene Gans ist eine gute Gabe Gottes
Die weinmäßig solcherart flankierte Martinsgans, vielleicht noch umgeben von einem Kartoffelpüree und Weinkraut oder von Rotkohl und glasierten Maronen, ist ein privates kulinarisches Weltereignis – und obendrein gottgefällig.
Das meint jedenfalls Massimo Salani, der römische Theologe, für den Bic Mäcs & Co unkatholisch sind, weil solchem Fastfood der gemeinschaftsbildende Aspekt des Teilens fehle.
Aus dem Gourmet- & Reisemagazin SAVOIR VIVRE.
Kafel