Schmalzgebäck! Selbst einem Sprechkünstler wird es nicht gelingen, das Wort weich auszusprechen. Es widerhallt hart, fast so unerbittlich wie einst Krupp-Stahl. Aber die Näschereien, die sich unter dem gastronomischen Dachbegriff vereinen, erklingen sämtlich, vom Faschingskrapfen über den Berliner, die Donuts, italienischen Bomboloni, norddeutschen Förtchen und den Kräppli der Hessen bis hin zu den Smoutebollen der Niederländer sowie den Fritoles der Venezianer, so heimelig und verheißungsvoll flaumig wie sie schmecken. Diese klassisch in heißem Fett gebackenen Teigrundlinge werden ganzjährig angeboten, aber nach den Weihnachtstagen bis zum Ende des Karnevals haben sie ihre Hochsaison, angeführt von seiner kulinarischen Heiligkeit, dem Krapfen.
Foto: Drei Steirerinnen als Krapfen-Königinnen Europas.
Gerti Dissauer, Sigrid Teubenbacher und Maria spritzten bereits ab 2 Uhr nachts bis in die Morgenstunden im Café Krainer in Langenwang die auf feinster Marillenmarmelade basierenden Füllung in unzählige flaumigen Teiglinge.
Ob Karneval im Rheinischen, Fasching oder Fasnacht im Süddeutschen, eines verbindet das sogenannte närrische Brauchtum über die Grenzen hinweg: eben der Krapfen. Um diesen König des Schmalzgebäcks und Faschingsgebilde Nummer eins ranken sich Legenden. Eine stammt aus Wien und besagt, dass die bei den Wiener Hofbällen besonders aktive Köchin namens Cäcillia Krapf 1705 eine „Cilli-Kugel“ im Fett herausgebacken habe. Das mag wohl so sein, taugt jedoch unabhängig von der Güte dieser Cilli-Kugeln nicht als seriöse Quelle für die Entstehungsgeschichte des Krapfens. Urkundlich in Form einer Kochverordnung vom 8. Juni 1486 ist bereits belegt, dass so genannte „Krapfenweiber“ oder „Krapfenpacherinnen“ unter speziellen Bedingungen das schmackhafte Gebäck in der Stadt feilbieten durften, und in der Zeit des Wiener Kongresses feierte der Krapfen in verfeinerter Form einen wahren Siegeszug durch die gehobene Gesellschaft.
Auf Speisezetteln von Klosterkirchen taucht schon um 1200 ein „craplum“ auf, und das althochdeutsche „crapho“, das mittelhochdeutsche „krapfe“ (ital.“grappo“, franz.: „l’agrafe“), was etwa Kralle, gebogene Klaue oder Haken bedeutet, lässt darauf schließen, dass der Krapfen in alten Zeiten nicht unbedingt rund war, sondern länglich und unebenmäßig geformt: graphen bedeutet so viel wie mit einer Kralle aus dem Fett gezogener Teig. Bis heute gilt freilich, dass der Krapfen von der Faschingsfröhlichkeit kündet und vor allem an den letzten beiden Tagen der „fünften Jahreszeit“ mit besonderem Genuß verspeist wird. In früheren Zeiten wollte man mit dem Verzehr des Schmalzgebackenem an den närrischen Tagen noch einmal so richtig und ohne schlechtes Gewissen genießen, auch die Vorräte aufbrauchen, denn in der dem Aschermittwoch folgenden Fastenzeit wurde auf Fleisch und Süßes verzichtet. Tatsächlich ist die Tradition des Schmalzgebäcks schon bei den Römern bekannt, die im Rahmen ihrer ausgelassenen Frühlingsbacchanalien krapfenähnliches Backwerk schätzten. Und natürlich sind auch die Venezianer als notorische Karnevalisten überzeugt, dass in ihrer Stadt der Faschingskrapfen erfunden worden sei. Dort heißt dieses Brauchtumsgebäck Fritole. Das besondere Merkmal dieser kleinen runden, klassisch in Butter- oder Schweineschmalz herausgebackenen Bällchen sind die darin enthaltenen – zuvor in Grappa eingeweichten – Rosinen (eine rustikale, in Schweineschmalz gegarte Variante sind die streifenförmig gebackenen Crostoli).
Krapfenbilder dienten stets als Symbol der Schlemmerei. Aus einem Nonnenkloster ist ein Rezept für einen wahrhaft luxuriösen und überwürzten Krapfen übermittelt. Der hemmungslose Griff in die Würzkiste ist freilich typisch für die Küche des Mittelalters. Neben Weizenmehl, Eier und Schmalz sind Zucker, Zimmet-Rinden, Nägelein, Cardamomen, Muscatennüsse- und Blüten, Ingver, Lavendelblüten, rothe Rosen, Galgant, Majoran, Rosmarin und Lavendelwasser als Zutaten genannt. Der Volksmund hatte für solches Backwerk, das sich allein schon wegen der teuren Import-Gewürze kein armer Bürger leisten konnte, ein deftiges Bild parat: Nonnenfürzchen. Das kölnische „Nunnefützche“ tauchte in rheinischen Schriftquellen seit dem 14. Jahrhundert auf, und auch im Französischen gibt es dafür die gleiche Bezeichnung, nämlich “pet de nonne“.
Im Alemannischen sind die Fasnachtsnudeln beliebt, aber man kennt auch Krapfen beziehungsweise Küchle. Die gibt es als Ringe oder zu Zöpfen geflochten. Der echte Frankfurter kann sich wiederum ohne seine „Kräppl“ oder „Kreppel“ keine Fastnacht vorstellen und drückt dies sogar gereimt aus: „Lustig ist die Fastnacht, wenn die Mama Kräppl backt; wenn sie aber keine backt, hust ich auf die Fastenacht!“
Unter dem Sammelbegriff Küchle oder Krapfen läßt sich küchenpolitisch viel anstellen. Es gibt sie rund und flach, dreieckig und quadratisch, mit oder ohne Loch, süß und salzig, mit Käse, Grieben oder Fleisch gefüllt und – als typischer Wiener Krapfen – mit Vanillecreme oder Marmeladigem (Pflaumenmus, Aprikose, Erdbeere, Quitte) geimpft und mit Staubzucker bestreut.
Vom Sprachursprung her – „Kräpfel“, „Kräffli“, „Kreppel“ – läßt sich der Krapfen auch als urbayerische Angelegenheit ansehen. Jedenfalls sagt der süddeutsche Küchenspruch „Der oa Krapf wird scho braun, der ander setzt as Hauberl o, den dritten leg i nebn o. Oa Krapf schaugt den andern o, wia der im Schmalz schö danzn ko“ alles über das wesentliche Qualitätsmerkmal eines perfekten Krapfen aus.
Rund, dick, flaumig muß der perfekt geratene Krapfen sein und natürlich darf die feine weiße Bauchline, die zwangsläufig beim Wenden des Schmalzgebackenen entsteht, nicht fehlen. Dann schmeckt der Krapfen auch als „Berliner“ – und dies das ganze Jahr über ohne närrische Vorzeichen.
Karl-F. Lietz