Zu den unbestreitbaren Wahrheiten kulinarischer Metamorphosen gehört bei jungen Menschen die Umstellung ihrer Ernährung von Milch direkt auf Ketchup. Es gibt wohl kein Kind, das sich zu Pommes, Hamburger, Würstchen, Nudeln & Co nicht einen ordentlichen Klecks des knallroten Gemenges wünscht. Sieht man vom Zucker ab, der dieser Würzsauce aus Tomatenmark, Essig, Salz, Gewürzen und Stärke nicht gerade diskret zugesetzt wird – bis zu einem Fünftel dürfte es über den Daumen gepeilt schon sein – , enthält das Tomatenketchup, so der präzise Begriff, eine Reihe von wichtigen Mineral- und Aufbaustoffen sowie Vitamin C nebst einem geheimnisvollen Glücklichmacher. Als Mutter aller Marken-Ketchups gilt die Firma „Heinz“ aus Pittsburgh. Der kreative Henry John Heinz, Sohn deutscher Einwanderer, bastelte 1869 eine tomatige Würzsauce, die 1876 erstmals professionell hergestellt und vermarktet worden ist und seither die Welt beglückt.
Die Hausfrauen waren erfreut, aber auch die Profiköche goutierten das Produkt, denn bis dahin musste das Ketchup überwiegend noch mühsam in Handarbeit gerührt werden. Neben Tomaten, Essig und Zucker hatte der von den Einmachkünsten seiner Mutter animierte H.J. Heinz in einer ersten Version auch eine Serie von Gewürzen wie Nelken, Cayennepfeffer, Muskat, Zimt und Piment in seine Sauce gerührt. Ein zweites Rezept beinhaltete außer Tomaten und Essig braunen Zucker, Ingwer, Senfkörner, Sellerie sowie Meerrettich. Welche Gewürze und Aromaten in welcher Zusammensetzung dem zu einer homogenen Masse eingeköchelten Basisbrei aus Tomaten, Zucker und Essig heute beigemischt werden, gilt als Firmengeheimnis.
Zwar bemängelt manch feinsinniger Gourmet an dem Heinz-Produkt eine betont säuerliche Note mit vegetabilen Einsprengseln. Es schmecke, verglichen beispielsweise mit „Kraft“, der zweiten internationalen Ketchup-Großmacht, weniger fruchtig. „Kraft“, so heißt es, sei einfach tomatiger, von dichterer Konsistenz und würde sich schon deshalb besser fürs Mixen einer „Bloody Mary“ eignen – allerdings empfehle sich der Kauf kleiner Flaschen und zudem rascher Verbrauch, denn nach längerer Lagerung würde auch „Kraft“ an fruchtiger Finesse einbüßen. Aber der Verbraucher liebt Süßes und an dieser offenbar natürlichen Determination mag es wohl liegen, daß sich „Heinz“, dessen Sauce eine etwas größere Menge Zucker zugeschrieben wird, sich als Weltmarktführer etabliert hat.
Ketchup in Eigenregie – Rezept Nr. 1
Vom englischen Tausendsassa Jamie Oliver stammt eine einfache und stimmige Rezeptur für ein hausgenachtes Tomatenketchup für zwei Personen: Eine zerquetschte Knoblauchzehe mit einer zerhackten, getrockneten Chilischote und einem Teelöffel Majoran in Olivenöl anbraten, Tomaten aus einer großen Dose dazu geben und alles bei milder Hitze sanft köcheln lassen, dabei die Tomaten nur behutsam ab und zu leicht mit einem Kochlöffel bewegen. Nach etwa 45 Minuten die Tomaten zerteilen, den Brei mit Salz nebst etwas Balsamico oder feinem Rotweinessig abschmecken, nach persönlichem Gusto leicht zuckern und 15 Minuten weiter ziehen lassen. Schließlich mit einem Schuß Olivenöl und geriebenem Parmesan anreichern – die Sauce soll sämig sein – und auftischen! Gewürzt werden kann nach Belieben, sei es mit Basilikum, Ingwer, Thymian, Rosmarin, gar Zimt oder Curry, Senf und Pfeffer.
Ketchup ist natürlich nicht gleich Ketchup. Die Sauce wird in zahlreichen Variationen und Geschmacksrichtungen angeboten. Einen Trend zu mehr Schärfe beobachtet Thomas Zeisner von der gleichnamigen, in Grasberg bei Bremen residierenden, auf Würzsaucen spezialisierten Firma, die, 1902 von Waldemar Zeisner gegründet, seit 1937 deutsches Tomatenketchup anrührt und exportiert (www.zeisner.de). Zeisner ist der älteste deutsche Produzent von Ketchup; seine Sauce beschreibt der Unternehmer geschmacklich als fruchtig-süß. Im deutschen Norden werde die süßere Geschmacksrichtung geschätzt, wohingegen man es im Süden eher herber mag. Geografisch unabhängig ist die zunehmende Vorliebe fürs Curryketchup, auf das ein gutes Fünftel der insgesamt 80 000 Tonnen Ketchup entfällt, die pro Jahr in Deutschland konsumiert werden.
Die genaue Herkunft des Ketchups liegt im Dunkel der Vergangenheit, aber es gibt ein paar Eckdaten für eine ziemlich zuverlässige Entstehungsgeschichte. Küchenhistoriker gehen davon aus, dass englische Handelsreisende im 17. Jahrhundert in Südostasien, vermutlich Malaysia, eine würzige Sauce aus fermentiertem Fisch namens „kê-tsiap“ kennengelernt hatten. Diese Tunke, eine Art Ur-Fischsoße, war verwandt mit dem Liquamen (griechisch: Garum) der Antike. In der altrömischen Küche gab es praktisch keine Speise ohne diese Allerweltssauce aus dem Saft überreifer, ja durch gezieltes Lagern an der Sonne verdorbener Fische wie Sardellen, aufgekocht mit Essig, Most, Olivenöl, Salz, Kräutern und Gewürzen. Als legendäre Delikatesse galt das Liquamen aus Pompeji.
Ketchup in Eigenregie – Rezept Nr. 2
Ein sozusagen ultimatives Ketchup-Rezept gibt es nicht. Dafür bietet diese beliebte Würzsauce zu viel Spielraum für kulinarische Kreativität. Als klassisch kann folgende Rezeptur angesehen werden: Zwei mittelgroße Zwiebel fein hacken und in Olivenöl andünsten. Eineinhalb Kilogramm vollreife, möglichst deutlich natursüße Tomaten, gehäutet und entkernt, zu den Zwiebeln geben (ideal sind auch Dosentomaten bester Güte, eventuell ergänzt um etwas Tomatenmark). Nach etwa fünf Minuten einen Viertelliter feinen Weinessig oder Sherryessig, Salz, Pfeffer sowie Zucker nach persönlichem Geschmack dazugeben und das Ganze bei häufigem Umrühren so lange einköcheln, bis sich ein dicker Brei von sämiger Konsistenz bildet. Die Masse pürieren, noch einmal aufkochen lassen und heiß in vorgewärmte Gläser oder Flaschen füllen.
Nun gibt es zahlreiche Variationen. Wer das Aroma von Paprika mag, kann die entkernten Schoten gemeinsam mit den Zwiebeln und Tomaten andünsten; auch Knoblauch ist erlaubt. Der fertig geköchelte Brei lässt sich nach Belieben aromatisieren. Ist scharfes Ketchup gewünscht, sollte man bereits beim Einkochen zerdrückte Chilischoten dazugeben. Will man seine Sauce eher fruchtig, empfiehlt sich das Mitdünsten von Äpfel, Bananen, Aprikosen, Ananas oder Beeren à la Brombeere, Heidelbeere, Erdbeere. Zitronen sorgen für eine frische Prise. Und vollends seiner Phantasie kann man beim Würzen folgen. Neben Salz, Pfeffer und Zucker, der sich besonders fein macht, wenn man ihn karamellisiert dem Tomatenbrei beimengt, lässt sich das Eigenbau-Ketchup mit Senf, Basilikum, Selleriepulver, Ingwer, Muskat, Nelkenpulver und Kräutern individuell anreichern.
Eine andere Spur führt nach Indonesien, wo“ kecap“ einfach Sauce bedeutet. Traditionell ist die Zubereitung aus fermentierten schwarzen Sojabohnen. Englische Köche machten daraus als „catchup“ eine “High East-India Sauce“ aus Sardellen, Schalotten, Weißweinessig, Weißwein sowie verschiedenen Gewürzen. Diese (noch) tomatenlose Sauce wurde bereits Ende des 17. Jahrhunderts in einem Wörterbuch beschrieben. Die neue Würzsauce wurde in England rasch populär und es folgten in Kochbüchern eine Reihe von unterschiedlichen Rezepten, darunter auch eines mit Kidneybohnen als Ersatz für die in Europa unbekannte Sojabohne. In der Mitte des 18. Jahrhunderts gab es Ketchup schon als Fertigsauce in Geschäften, zubereitet aus Champignons, Fisch und Walnüssen oder Muscheln, Austern, Gurken, Holunder, Zwiebeln und Zitronen, aufgekocht in Bier, Brandy, Sherry oder Weißwein. Englische Auswanderer brachten die Rezepte schließlich nach Amerika mit, wo Richard Briggs, ein findiger Gastronom, den sauren Fisch durch Tomaten ersetzte: 1792 taucht erstmals ein Rezept für „Tomato Catsup“ auf.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Tomatenketchup individuell vorwiegend von amerikanischen Hausfrauen zubereitet, bis ab etwa 1850 im Zuge der industriellen Gemüseverarbeitung auch die maschinelle Herstellung von Ketchup möglich wurde, bald maßgeblich forciert durch „Heinz“. Für einen Liter Ketchup der modernen Version benötigt man ungefähr 20 bis 22 Tomaten. Die werden als Mark verarbeitet, ergänzt durch Zucker (im Schnitt um die 20 Prozent), Essig, Salz und Gewürze. Auch Zwiebel können enthalten sein, ferner Knoblauch, Gemüse à la Sellerie, Rote Bete-Saft, Senf, Paprikaschoten, Chili und Zusatzstoffe sowie Verdickungsmittel, damit die Soße an den Pommes haftet und an der Nudel kleben bleibt.
In manchen Ketchups ersetzt Saccharin oder anderer Süßstoff den Zucker, Bio-Produkte werden in der Regel mit Sirup gesüßt. Einen besonders intensiven Fruchtgeschmack bietet das so genannte „Felix pur“ aus Österreich mit einem rekordverdächtigen Anteil von 227 Gramm Tomaten auf 100 Gramm Ketchup, was durch Entzug von Wasser erreicht wird. Weil jeder Hersteller seine eigene Würzmischung als Geheimrezept nutzt, schmeckt kein Ketchup wie das andere. Es gilt also das Prinzip des Eigentestes, um herauszufinden, welche Marke einem am besten zusagt, abgesehen davon; dass es speise- und stimmungsabhängig ist, ob man zu einem besonders pikanten, milden oder scharfen Ketchup greift.
Vor dem Genuß steht freilich drohend die Frage, wie man das Ketchup spritzerfrei aus der Flasche bekommt. Bei Plastik genügt in der Regel leichter Druck, doch bei einer weitgehend geleerten Flasche sind Spritzer unvermeidlich. Besonderer Nachhilfe bedarf es auch beim Ketchup in der Glasflasche. Da kommt die zähflüssige Masse erst in Schwung, wenn man sie umrührt oder schüttelt. Beliebt ist das mehrmalige Schlagen auf den Flaschenboden, doch diese Methode hat zur Folge, dass oft mehr Soße fließt als gewünscht. Spötter deuten das aus Erfahrung so: „Das Leben ist wie eine Ketchupflasche: Erst kommt nichts und dann alles auf einmal!“ Tom McGough von „Heinz“ verrät ein Geheimnis: Man halte die Flasche in einem Achtzig-Grad-Winkel und klopfe auf die am Flaschennacken klein eingravierte „57“. Stark? Nein, ganz sanft, etwa zweimal! Keine Lösung gibt es für das Phänomen, daß in jeder Flasche, ob Kunststoff oder Glas, ein Rest bleibt.