Der typische Karpfenesser galt lange als bürgerlich, wertkonservativ und jeglichem Traditionsbruch abhold, was heißt, dass der „Cyprinus carpio“ bevorzugt an Weihnachten, Silvester oder Ostern auf den Tisch kam und stets klassisch zubereitet, also je nach heiligem Familienrezept entweder blau gesotten, gebraten, paniert (und angerichtet mit einem Kartoffelsalat), frittiert oder in einem Bierteig gebacken. Aber im Rahmen der neuen deutschen Lust an zeitgemäß reformierter Bürgerküche wird dem Karpfen inzwischen auch kreativ zu Leibe gerückt, sei es mit Aromaten gebraten und parfümiert mit Kürbiskernöl, gebacken und serviert mit grüner Sauce, als Filets lauwarm angerichtet auf Toast mit Rührei, im Ganzen gebraten und umschmeichelt von einer samtenen Rotweinsauce, filetiert, gedünstet und aufgetragen in einer Zitronen-Kapern-Liaison oder, ein bißchen verwegen, ummantelt mit einer Mohnkruste beziehungsweise kühn asiatisch mit Sojasauce, Reiswein, Ingwer und Zitronengras erst über Dampf gegart und dann in Öl herausgebacken.
Solche Schöpfungen zeugen gleichermaßen von der kulinarischen Omnipotenz des Karpfens wie von dessen Renaissance im 21. Jahrhundert. Gewiß, der Karpfen ist alles andere als ein Modefisch – im Gegensatz zum Wolfsbarsch oder dem schick gewordenen Zander. Doch trotz einiger Vorurteile, die sich zäh halten wie jene, Karpfen schmecke muffig, sei fett und überhaupt altväterisch, holt der Karpfen in der Gunst der Gourmets beharrlich auf. Der größte Feind des Karpfens war ja lange sein Image. Aber es ist höchst ungerecht und falsch obendrein, den Karpfen als Teichschwein zu verunglimpfen. Angler schätzen ihn als starken und schlauen Kämpfer, Ernährungswissenschaftler rühmen seinen Wert, denn das Fleisch ist nicht fett – der durchschnittliche Gehalt liegt bei rund fünf Prozent – , dafür eiweißreich und dank niedrigem Cholesterin und hohen Omega 3-Fettsäuren überaus gesund. Schmackhaft ist der Karpfen obendrein, der schlammige Gout ist ein Relikt aus vergangener Zeit.
Karpfen blau
Zutaten für vier Portionen:
2 kg Karpfen, küchenfertig halbiert, nicht geschuppt – die schützende, für die charakteristische bläuliche Farbe verantwortliche Schleimschicht muß unverletzt erhalten bleiben
250 g Karotten, Lauch, Sellerie, gelbe Rübe
150 g Zwiebeln
Salz, Pfeffer, Nelken, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren, eventuell eine Prise Zimt
1,5 Liter Kräuteressig
ca. 2 Liter Wasser
1 Teelöffel Zucker
Petersilie, gehackt
Zubereitung:
Aus dem Gemüse nebst Gewürzen und Wasser cirka eine halbe Stunde lang einen Sud köcheln, danach den Essig hinzufügen. Die Karpfenhälften an der Hautseite mehrmals fein einschneiden (ziselieren), salzen, pfeffern, behutsam in den Sud legen und knapp unter dem Siedepunkt ungefähr 15 bis 20 Minuten lang ziehen lassen. Fisch aus dem Sud nehmen, mit zerlassener Butter, Salzkartoffeln und etwas vom Wurzelwerk sowie gehackter Petersilie servieren.
Wohl gibt es noch Fische, die in morastigem Wasser leben und vor dem Schlachten für einige Zeit in frischem, möglichst fließendem Gewässer von ihrem leicht moderig anmutenden Aroma, dem sogenannten „Mooseln“ oder „Letteln“, befreit werden müssen. Früher einmal ist solcher Karpfen lebend gekauft und zu Hause in der Badewanne oder dem Waschtrog einige Tage lang bis zum festlichen Schmaus dem nötigen Klärungsprozeß unterzogen worden – nicht selten mit der familiendramatischen Folge, dass die Kinder das neue Haustier tauften und es dann nicht mehr essen mochten. Ließ sich das Düfteln nicht gänzlich beheben, hat man den Fisch noch 24 Stunden lang in Milch eingelegt; das nahm ihm das kulinarische Manko, zugleich aber auch einiges von seinem feinen Aroma.
Derartige Prozeduren sind heute nicht mehr nötig, denn die Fische werden in der Regel nicht mehr in überbesetzten Weihern möglichst rasch und mit Mais oder Fischmehl fett gemästet, sondern von qualitätsbewußten Züchtern naturnah in sauberem, nicht überdüngtem Gewässer gehalten. Wie ihre Artgenossen in freier Wildbahn ernähren sich die Fische von Pflanzen sowie Kleintieren wie Insektenlarven, Minikrebsen und Schnecken, zugefüttert wird mit Gerste und Ölkuchen. In drei bis vier Jahren erreichen die Karpfen gemächlich ihr Idealgewicht zwischen einem und zwei Kilogramm. Es wird also nicht mehr im Trüben gefischt, diesen artgerecht gehaltenen Zuchtkarpfen läßt sich getrost ins klare Auge blicken. Sie können direkt aus dem Teich in die Küche getragen und ihrer gastronomischen Vollendung zugeführt werden.
Dabei sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt, doch haben auch die klassischen Rezepturen ihren Reiz. Im Fränkischen, neben Sachsen und dem deutschen Nordosten eine Hochburg der Karpfenzucht, wird der Fisch inklusive Kopf und Flossen längs geteilt, mit Senf bestrichen, in Mehl gewendet und in reichlich Fett sehr heiß gebacken, so daß sogar die Flossen als knusprige Delikatesse wie Chips gegessen werden. Die Sachsen legen den Karpfen subtiler an, sie dünsten ihn gerne in Wurzelgemüse mit Weißburgunder oder Riesling aus dem heimischen Elbtal. Im Elsaß wiederum goutiert man den Karpfen als „carpe frite“ ohne Besteck mit den Fingern: frisch geschlachtet, entgrätet, in dicke Scheiben geschnitten, mit Mehlgrieß paniert, gebacken, mit Zitronensaft beträufelt und in Mayonnaise getunkt.
Drei Fischgebote:
1) Die Frische: Der erste Blick gilt der Haut, die natürliche Schleimschicht muß glasig sein. Verlaß ist auf den Drucktest – ein Fingerdruck auf den Bauch darf keine Delle hinterlassen. Dienlich ist die Nase, frischer Fisch „fischelt“ nicht. Weniger aufschlußreich kann der Kiementest sein, denn es gibt Schelme, die färben die Kiemen nicht mehr so frischer Fische rot ein.
2) Die Lagerung: Eis und Oxydation sind Todfeinde des Fisches. Es empfiehlt sich, ganze Fische zu kaufen (gegenüber Filets kann auch die Frische besser eingeschätzt werden), die in ein feuchtes Tuch zu wickeln und bei null bis einem Grad maximal zwei Tage im Kühlschrank aufzubewahren, alternativ in einer mit Folie abgedeckten Glas- oder Porzellanschüssel.
3) Nach dem Garen sollte sich der Fisch fünf bis zehn Minuten entspannen, wofür er nahe einer Wärmquelle auf einen großen Teller gelegt und mit Alufolie abgedeckt wird.
Der Urahn des Karpfens kommt aus Asien, vermutlich aus China, wo der Fisch seit viertausend Jahren eine große Küchenrolle spielt, als bunt gefleckter Tempelkarpfen und Symbol für Reichtum, Kraft und Fruchtbarkeit auch verehrt wird. In der Antike wurde der Karpfen von Griechen wie Römern hoch geschätzt; letztere haben ihn der Venus geweiht, der römischen Variante der Aphrodite. Die älteste schriftliche Nachricht stammt von Cassiodorus, einem Sekretär des Gotenkönigs Theoderich, der um 500 n. Chr. schrieb, der “Carp“ sei ein Speisefisch von so erlesenem Geschmack, dass er einer fürstlichen Tafel vorbehalten bleiben müsse. Diese Exklusivität ergab sich freilich von selber, denn damals war Karpfen wesentlich teurer als Rindfleisch. Vom Hofe Ludwig XIV. wurde berichtet, dass der Sonnenkönig einen Aristokraten als Zuchtherren für seine geliebten Karpfen beauftragte und den mit dem Titel eines Großadmirals ausstattete.
Großen Anteil an der Karpfenzucht erwarben sich die Mönche im Mittelalter, die den Fisch bereits in Teichen hielten, vor allem auch, um sich während der fleischlosen Fastenzeiten angemessen ernähren zu können. Aus der Urform des heute gefährdeten Wildkarpfens haben sich mehrere Formen entwickelt wie der Schuppenkarpfen, der besonders weit verbreitete Spiegelkarpfen (erkennbar an den großen, metallisch schimmernden, unregelmäßig verteilten Schuppen), der kaum beschuppte Lederkarpfen (auch Nacktkarpfen genannt) sowie der Zeilkarpfen. Eine spezielle und sehr alte Zuchtform ist der Amurkarpfen, der wegen seiner Vorliebe für Algen und Grünzeug auch Graskarpfen genannt wird. Geschmacklich ähneln sich diese Varietäten, entscheidend für Konsistenz und Aroma sind neben der Nahrung die Qualität des Wassers und die Größe.
Karpfen polnisch à la Fürst Rudolstadt
Bei allem Respekt vor der neuen deutschen Lust an zeitgemäß reformierter Bürgerküche sollten einige klassische Zubereitungsarten nicht in Vergessenheit geraten. Dazu zählt der Karpfen polnisch: ein charakteristisches Rezept der gerne in süßlich-säuerlich-scharfen Verbindungen schwelgenden Ostküche. Ein Klassiker dieser Fraktion ist der Karpfen, wie ihn Herr Meinicke, seinerzeit – also vor über 100 Jahren – Haushofmeister des Fürsten von Schwarzberg-Rudolstadt, für die Schloßtafel zubereitet hat. Voraussetzung ist ein lebender Fisch, denn dessen Blut spielt eine Hauptrolle.
Zutaten (für vier Personen):
- 1 Karpfen lebend
- 0,25 Liter guter Weinessig
- 1½ Liter helles Bier
- 3 Eßlöffel Zuckersirup
- 75 g geriebener Pfefferkuchen
- 130 g Butter
- 3-4 Karotten, 2 Petersilienwurzeln, 1 größeres Stück Sellerie, 2 mittelgroße Zwiebeln
- 30 g Salz, 2 Lorbeerblätter, etwas Zitronenschale, einige Gewürznelken, einige schwarze Pfefferkörner
Zubereitung:
Der Karpfen wird mit einem kräftigen Schlag auf den Kopf getötet, die Kehle mit einem spitzen Messer angestochen, das ausfließende Blut im Essig abgefangen. Danach den Fisch schuppen, der Länge nach in zwei Hälften spalten, diese wiederum in handbreite Stücke schneiden, gut waschen, einsalzen und ein bis zwei Stunden an kühlem Ort stehen lassen. Nun werden die Karotten, Petersilienwurzeln, Zwiebeln sowie der Sellerie geputzt, würfelig geschnitten und mit Salz sowie cirka 30 Gramm Butter nebst geriebener Zitronenschale, Nelken und einigen Pfefferkörnern in einem größeren Topf ganz leicht angeröstet. Das Bier hinzufügen, aufkochen lassen und eine Stunde im offenen Topf weiter köcheln. Den inzwischen reduzierten Sud durch ein Sieb gießen, mit dem Blutessig, dem Zuckersirup und dem Pfefferkuchen vermählen, auf leiser Flamme ein wenig köcheln lassen, dabei 100 Gramm Butter portionsweise einrühren. Jetzt die Karpfenstücke abtrocknen, in die Sauce legen, ganz kurz aufkochen lassen, sofort das Feuer auf kleinste Temperatur reduzieren und alles 20 bis 25 Minuten lang sehr sanft simmern lassen, abhängig vom Volumen der Fischfilets. Schließlich die Fischstücke heraus nehmen, die Sauce nun grob durchseihen und mit den Karpfenfilets auf heißen Tellern anrichten, begleitet von Salzkartoffeln sowie Sauerkraut oder Gemüse.
Anmerkung:
Anstelle von hellem Bier kann auch dunkles eingesetzt werden, und wer es mag, kann einige Wacholderbeeren in den Sud geben.
Kafel