Foto (DWI): Die Pfälzische Weinkönigin 2023 Lea Baßler bei der Lese der ersten Trauben des Jahres in der Nähe von_Neustadt.
Die Luft in den Weindörfern zwischen dem Bodensee und der Ahr, entlang Mosel, Rhein, Main und Neckar sowie in den sächsischen Rebengärten ist jetzt getränkt vom hefigen Duft des jungen Weins. Der Riesling hängt noch an den Stöcken, als spätreifende Edelsorte giert er nach Herbstsonne. Aber früh reifende Trauben wie Ortega, Gutedel, Bacchus, die Huxelrebe & Co werden bereits geerntet. Das ist die Stunde des deutschen Federweißen, des halbsüßen Babyweins. Die durch den Gärprozess frei werdenden Aromen dringen nun wie Parfum durch alle Kellerluken ins Freie, so dass man schon vom Einatmen beschwipst wird. Und der Weinfreund leckt sich die Lippen wie Kater, die Käse riechen, denn der munter säuselnde, milchigweiße Federweiße ist die erste flüssige Gabe des Herbstes. Er schmeckt süßlich, hefig, betont nach Kohlensäure – und am besten direkt vom Fass gezapft in den Weinanbaugebieten.
Im Gegensatz zu den sogenannten Primeur-Kreszenzen aus Frankreich oder Italien ist der Federweiße gärender Most. Der Beaujolais Primeur oder der legendäre österreichische Heurige sind hingegen fertig ausgebaute Weine, wenngleich der Reifeprozess bei diesen Weinen mit Hilfe der Technik forciert wird und innerhalb weniger Wochen wie im Zeitraffer abläuft. Die Primeurs werden in der Novembermitte in Flaschen gefüllt, sie sind durchgegoren und in der Regel trocken im Geschmack, während der Federweiße noch mittendrin im Sturm & Drang der Gärung steckt und am besten schmeckt, wenn er dezent traubig-süßlich ist. Praktisch gesehen ist der milchigweiße Federweiße ein Most auf dem Weg zum Wein. Bei diesem Prozess wird der Fruchtzucker der Traube in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt. Die Gärung läuft im Normalfall wenige Tage bis etwa eine Woche lang und je nachdem, wann man den Federweißen aus dem Tank oder vom Fass zapft, schmeckt er süß bis trocken in allen Schattierungen.
Im ersten Stadium, wenn die aktiven Hefepilze gerade mit der Aufspaltung des Zuckers begonnen haben, ist der Most von Natur aus noch recht süß, gleichzeitig alkoholarm und nur sachte moussierend. “Er bitzelt“, sagen die Kellermeister, und so nennt man den Federweißen in dieser frühen Phase auch Bitzler. Eigentlich ist er dann mehr Traubensaft als Wein. Idealerweise trinkt man den neuen Wein auf dem halben Weg vom Traubensaft zum Wein, wenn sich Süße, Alkohol und Fruchtsäure in guter Balance befinden. Zu diesem Zeitpunkt weist er einen Alkoholgehalt von etwa fünf Prozent auf. Im weiteren Verlauf der Gärung weicht die anfänglich verführerische Süße nach und nach dem Alkohol und verleiht dem Federweißen eine zunehmend herbe Note. Schreitet die Gärung fort, wird der Most alkoholischer und zugleich immer herber, bis er schließlich am Ende, wenn jeglicher Zucker bis auf einen Schamrest von vielleicht ein, zwei Gramm verarbeitet worden ist, in die Kategorie trocken eingestuft wird.
So weit sollte man es beim Federweißen freilich nicht kommen lassen. Ist die Gärung komplett durch, schmeckt der Most ziemlich bitter. Er ist dann kein Federweißer mehr, aber auch noch kein Wein, was heißt: Es fehlt diesem unfertigen Getränk sowohl der Charme der Jugend als auch die Reife des Alters. Am besten schmeckt der Federweiße in der zweiten Gärhälfte, wenn der Most noch eine leckere, hefig unterlegte Fruchtsüße hat, alkoholisch bereits etwas durchwoben ist und fröhlich perlt. Hält man das Glas ans Ohr, muss ein Säuseln zu hören sein: es klingt wie fernes Meeresrauschen. Je nach Region wird der Federweiße deshalb auch “Süßkrätzer“, “Rauscher“, “Sauser“, “Suser“, “Brauser“ oder – wie in Österreich – “Sturm“ genannt.
Letzteres ist Name und zugleich Programm, denn die wilde Gärung kann sich im Körper fortsetzen. Das lässt sich positiv als verdauungsfördernd bewerten. Mediziner loben jedenfalls den gesundheitlichen Wert des Federweißen. Auf dem Höhepunkt der Gärung enthält der Babywein biochemisch aktive Hefezellen und Milchsäurebakterien, ferner Mineralien und speziell Vitamine der wichtigen B-Gruppe. Schließlich soll der Federweiße blutreinigend und entschlackend wirken. Die volle therapeutische Wirkung ergibt sich allerdings nur, sofern der Jungwein lebt und nicht, wie es tausendfach geschieht, mit technischen Methoden steril gemacht worden ist. Einem Großteil des fernab von Weinregionen vermarkteten Federweißen, zumal den Säften aus mediterranen Zonen, die bereits angeboten werden, wenn die deutschen Trauben noch am Rebstock hängen, ist die Hefe entzogen worden oder man hat sie abgetötet.
Das belässt dem Babywein zwar die begehrte Süße, nimmt ihm jedoch die Hefe, sein Lebenselixier. Solcherart kastrierte Federweiße, um es ungnädig auszudrücken, wird der Liebhaber meiden. Er kauft entweder im renommierten Fachgeschäft, wo er sicher sein kann, vollwertigen Federweißen zu erhalten, oder er fährt in die Anbaugebiete, wo ihm beim Winzer oder in den Dorfschänken der “Neue“ direkt aus dem Fass gezogen wird. Die Lust am Federweißen ist übrigens alt, es gibt Zeugnisse, wonach sich Genießer aller Stände schon in früheren Jahrhunderten an diesem jüngferlichen Wein erfreut haben.
Nach dem Einkauf empfiehlt es sich, den Federweißen zu probieren. Ist er noch zu süß, kann man ihn bei Zimmertemperatur in Gärung kommen lassen und regelmäßig – möglichst einmal pro Tag – verkosten. Wenn er einem schließlich richtig gut schmeckt, heißt es: sofort genießen und, sollte die Flasche nicht leer getrunken werden, ab in den Kühlschrank damit, denn die Kälte stoppt den Gärungsprozess und verlängert so den Genuss. Verbunden mit einem Stück Speck, gerösteten Eßkastanien, frischen Walnüssen, gebuttertem Laugengebäck, Lauchtorte, Zwiebelkuchen und ähnlich köstlichen Rustikalitäten erinnert uns der Federweiße daran, dass wieder einmal ein Sommer zu Ende geht. Aber sein Aroma tröstet uns zugleich über das Zerrinnen hinweg, indem wir einen Vorgeschmack auf den nächsten Wein bekommen. Der Federweiße ist nämlich auch so etwas wie der Fingerabdruck des neuen Jahrgangs – und der ist durchaus verheißungsvoll.
Zum Federweißer paßt natürlich perfekt Zwiebelkuchen.
Zwiebelkuchen
(ergibt 12 Stück) für den Teig:
4 TL Backpulver
300 g Weizenmehl Type 405
50 g Butter
200 ml Buttermilch
Salz
für den Belag:
10 Zwiebeln
30 g Butter
450 g Schmand
200 g Reibekäse
6 Eier
200 g durchwachsenen Speck in Scheiben
1-2 TL Kümmel
Salz
Pfeffer
Muskat
1 EL gehackte Petersilie
Die Zwiebeln schälen und grob in Ringe schneiden. Die Butter in einem Topf erhitzen und die Zwiebeln darin unter mehrmaligem Rühren etwa 30 Minuten andünsten. In der Zwischenzeit für den Teig das Weizenmehl und das Backpulver in eine Schüssel geben. Butter, Buttermilch und eine Prise Salz dazugeben und alles gut verkneten. Den Teig auf einem gefetteten Backblech ausrollen. Den Schmand cremig rühren und mit dem Käse vermengen. Die Masse mit den Eiern verrühren und mit den gedünsteten Zwiebeln vermengen. Die Zwiebelmasse mit Kümmel, Salz, Pfeffer und Muskat pikant würzen und auf dem Teig verteilen. Mit Speckstreifen belegen. Den Zwiebelkuchen im vorgeheizten Ofen bei 200 °C etwa 45 Minuten backen. Mit gehackter Petersilie bestreut servieren.
Pro Stück: 462 kcal (1931 kJ), 13,6 g Eiweiß, 35,4 g Fett, 21,9 g Kohlenhydrate
kfl