Wenn die Sonne in grellen Farben aufglüht und der Himmel im Lichte kommender Zärtlichkeiten erstrahlt, dann ist Frühling. Der tritt seit einigen Jahren nicht mehr so diskret auf wie früher einmal, sondern – wohl im Zuge der Klimaerwärmung – gleich wie ein vorausgeeilter Sommer, aber wenn der Thymian im Garten zu duften beginnt, wenn der Löwenzahn die Wiesen in Gelb tunkt und der Bärlauch neben dem Waldmeister sprießt, dann ist er da: ER, der immer noch große Erblüher. Jeder kennt diese Sinfonie der grünen Magie. In den Gläsern schwabbt nun weinmäßig die leichte Kavallerie oder lockt ein Champagnercocktail. Zur Vervollkommnung des irdischen Glücks bedarf es dann neben eines schwerelosen Verliebtseins nur der besten Vinaigrette weltweit zur Inszenierung eines der delikatesten Frühlingsgerichte: dem Salat.
Salat genießt geradezu kultische Verehrung, sei es aus rein geschmacklichen oder eher diätetischen Gründen. Als Vorspeise öffnet er den Magen, in der antiken Küche wurde er als „grüne Ouvertüre“ zu Beginn des Essens auf den Tisch gestellt. Kalorienbewußten Menschen dient er als Hauptgericht. Ein guter Salat ist niemals deplatziert – und gut ist er, ja vollkommen, wenn er die Zunge kitzelt, ohne zu brennen, den Gaumen erfrischt, ohne zu kratzen, den Magen anregt, ohne zu überreizen. So haben es um 1900 die Autoren eines Appetitlexikons definiert. Daß Salat abseits gesundheitlicher Aspekte eine köstliche Leckerei ist, steht außer Zweifel, sofern erstklassige Zutaten verwendet werden und die Zubereitung nicht in die Hände von Barbaren fällt.
Voraussetzung für reinen Salatgenuß ist eine delikat angelegte Marinade. Essig und Öl sind, für sich genommen, wackere Einzelkämpfer am Küchentisch. Sie zählen zum unverzichtbaren Standardinventar und gehören zu den wichtigen Würz- sowie Aromatisierungsmitteln jeder Küche von der bäuerlichen Einfachheit bis zur französischen Raffinesse. Weil Essig und Öl, nacheinander auf den Salat geträufelt, sich schlecht vertragen und dort ein Eigenleben führen, laufen diese beiden Grundelemente erst dann zu bester Form auf, sobald sie sich harmonisch in einer Vinaigrette paaren, die im Verein mit Gewürzen sowie Kräutern, eventuell auch Senf, Knoblauch und einer Prise Zucker beziehungsweise Honig aus Rukola, Kopfsalat, Lollo Rosso, Eichblatt, Chicorée, Romana, Frisée & Co eine geschmackliche Einheit weit oberhalb der hausbackenen Salat-Selbstverständlichkeiten früherer Jahre bildet.
Vor ungefähr zwanzig Jahren war Essig in deutschen Küchen vor allem eines: sauer. In der Billigvariante ist dies heute noch der Fall. Auch die anderen Ingredienzien für das Rühren einer Vinaigrette waren damals meist von mediokrer Qualität, selbst in Feinkostläden beanspruchten Öl, Essig, Salz, Pfeffer und Senf höchstens eine halbe Regalfläche. Entsprechend eintönig schmeckten Salate, lieblos zubereitet und in der Regel erschöpft versinkend in Essigfluten, auf denen einzelne Öltröpfchen verzweifelt schwammen wie Fettaugen auf einer Rinderbouillon. Inzwischen gibt es unzählige feine Essigsorten und Öle, ist allein die Auswahl an Salz verwirrend, wissen selbst Nichtköche, daß „Fleur de sel“´ein besonderes Meeresblütensalz ist, Vinaigre framboise kein Himbeersaft und Balsamico nichts mit Kosmetik zu tun hat. Sünden wider den guten Geschmack sind zwar immer noch auszumachen, doch über den Niederungen altdeutscher Soßenpein hat sich eine neue Salatkultur entwickelt – und mit ihr wuchs die Saucenkunst in kulinarische Höhen.
Historisch korrekt muß von einer Renaissance der Saucenkunst gesprochen werden, denn tatsächlich galten raffiniert komponierte Marinaden bereits in früheren Jahrhunderten als ein wesentliches Kapitel der Kochkunst. Charles Elmé Francatelli hat als Küchenchef von Queen Victoria in seinem 1845 erschienenen Buch „The modern ccok“ anschaulich beschrieben, wie er Salat die letzte Weihe verleiht: er zerbeißt Knoblauch und haucht dann die Schüssel aus. In einem Brief an seine Geliebte – und spätere Ehefrau – Isabelle Colbran beschreibt Giacchino Antonio Rossini, der Meister der italienischen Oper und des Crescendo, schwelgerisch eine von ihm zubereitete Salatsauce: „Nehmen Sie Olivenöl aus der Provence, englischen Senf, französischen Essig, ein wenig Zitronensaft, Pfeffer und Salz. Das alles tüchtig verrühren und gut vermischen. Einige Trüffel dazugeben, die Sie sorgfältig in dünne Scheiben geschnitten haben. Die Trüffel verleihen der Würze so etwas wie einen Heiligenschein, um ein Leckermaul in Ekstase zu versetzen.“ Daß Rossini leichthin “einige Trüffel“ vorschreibt, war vor 150 Jahren kein Ausflug in den Luxus, denn damals waren die schwarzen Knollen weniger rar und nicht so sündteuer wie heute. Ein mitschmausender Kardinal hat den Komponisten für dessen Sauce übrigens gesegnet.
Fünf Salalat-Grundgesetze:
Regel Nummer eins: nur beste Zutaten verwenden. Regel Nummer zwei: kreativ sein, auch neue Wege gehen und sich der Vielfalt an Ölen, Essigen und Gewürzen bedienen. Regel Nummer drei: Salat bitte nie, wie es in süddeutschen Haushalten und Gasthöfen leider noch Brauch ist, in Essigfluten versinken lassen. Regel Nummer vier: nicht kunterbunt kräutern und würzen, sondern sich mit Bedacht auf zwei, drei Kräuter beschränken und auch bei den Gewürzen haushalten. Regel Nummer fünf ist uralt und stimmig wie vor hundert Jahren: den Essig handhaben wie ein Geizkragen, das Öl hingegen wie ein Verschwender, würzen wie ein Philosoph und das Ganze minutenlang mischen wie ein Narr.
Natürlich bedürfen Salate nicht der trüffeligen Extravaganz. Es gibt tausenderlei Varianten zur Inszenierung ebenso leckerer wie schicker Tafelfreuden. Ob man beispielsweise Knoblauch pur dazu tut, nur die Schüssel mit diesem herrlichen Duftlackel ausreibt oder völlig auf ihn verzichtet, ist ebenso Anlaß für lange Diskussionen unter praktizierenden Gourmets wie die Wahl des Essigs sowie des Öls. Feldsalat, eventuell angereichert mit lauwarmen Kartoffelscheiben oder knusprig gebratenen Weißbrotstücken, Croutons genannt, wird mit dem schwarzgrünen, nussigen Kürbiskernöl aus der Steiermark zur Besonderheit, aber Achtung: viel gefälschtes Öl ist im Umlauf, so manches „Kürbiskernöl“ ist nämlich verdünnt, gestreckt mit Billigölen wie beispielsweise Raps. Solche Bastarde fließen dünn und teilnahmslos aus der Flasche; es fehlt ihnen der innere Wert. Wo Profit lockt, sind eben die Schelme rasch zur Stelle.
Die Klasse eines Salats wird entschneidend durch Art und Qualität von Essig & Öl bestimmt. Himbeeressig wirkt anders als Balsamico oder Sherryesssig, Olivenöl schmeichelt den Blättern anders als etwa Distelöl, Leinöl, Traubenkernöl oder Kürbiskernöl. Mohnöl plus einige Spritzer Limonensaft eignet sich zur Parfümierung roher, fein geschnittener Möhren. Kerniger Löwenzahnsalat bedarf wiederum eines kraftvollen Rapsöles, je nach Gusto auch flankiert von gebratenen Speckstreifen oder mariniert mit Blauschimmelkäse. Und zu Blattsalaten paßt jederzeit feinstes Olivenöl. Salate mit wenig Eigengeschmack – wie etwa Eisbergsalat – bedürfen einer kräftigeren Anreicherung, wohingegen Blätter wie Rukola, Radicchio oder Endivie, selber schon recht robuste Kaliber, sich mit einer sanfteren Abrundung begnügen, aber auch eine starke Aromatisierung klaglos vertragen. Ein von Haus aus milder Partner kann etwas Säure vertragen, einem kräftigen Produkt wird vielleicht ein Hauch von Süße gut tun: etwas Honig vermag einem Kräutersalat die mitunter leicht bittere Herbheit zu nehmen.
Am Anfang steht die Frage des Wozu?
Am Anfang jeder Vinaigrette steht die Frage des Wozu? Rudi Obauer, der geniale Koch vom gleichnamigen Restaurant im salzburgischen Werfen, mischt für junge Pflücksalate wie Rukola oder Löwenzahn den Saft einer Zitrone mit einem Mokkalöffel Zucker, einem Eßlöffel Weißweinessig, 2 cl süßem alten Sherry, Pfeffer, Salz und zwei Eßlöffel Olivenöl nebst einem Eßlöffel Erdnußöl zu einer homogenen Marinade, die über den Salat gegossen wird; für extra Würze sorgen fein geschnittene Kräuter wie Liebstöckel, Kerbel, Sauerampfer und Bohnenkraut. Spargelsalate gewinnen enorm mit folgender Marinade: Grünen Kopfsalat im Mixer cremig zerkleinern, mit Olivenöl, Weißweinessig, Salz, Pfeffer und selbst gemachter Mayonnaise verrühren.
Anstelle von Essig kann auch, wie in Süditalien gerne Brauch, Zitronensaft verwendet werden. Herber Weißwein wird ebenfalls als Alternative geschätzt, und immer öfter greifen Köche zu einem Fläschchen, dessen Elixier schon antike Köche nutzten und das im Mittelalter als „Agrest“ oder „Agraz“ hochbegehrt war, doch dann für Jahrhunderte vergessen schien, bis es von innovativen Winzern auf Anregung von Köchen wieder entdeckt worden ist: Verjus, gepreßt aus unreifen Trauben mit wenig Zucker. Dieser „grüne Saft“ ist von intensiv fruchtigem Aroma und prägnanter, dabei feiner Säure – geschmeidiger als Essig, aromatisch vielschichtiger und reicher als Zitrone.
Eine eigenständige Welt im Reich der Salatsoßen bilden die Verbindungen mit Milchprodukten à la Joghurt, Sahne, Quark und Käse. Man nehme einen Eissalat, auf bretonische Weise angemacht mit Äpfeln, Walnüssen, etwas Verjus und Roquefort: eine Wonne! Spitzenköche schwören auf Fonds von Gemüse, Geflügel oder Rind. „Darin steckt die Kraft, die geben der Vinaigrette die aromatische Struktur“, erläutert Michael Hoffmann, der für seine aparten Gemüsekreationen berühmte Berliner Koch.
Alternativ kocht er Obstsaft ein (Apfel, Birne, Quitte) und reichert damit die Marinade für den Salat an.
In der russischen Küche versteht man unter Vinaigrette keine Sauce, sondern einen Salat aus gekochtem, fein geraspeltem Gemüse (Kartoffeln, Karotten, Rote Bete) mit Sauerkraut, Öl und Salz. Das englische „French Dressing“ steht auch für eine Salatsauce aus Mayonnaise, Sahne und Ketchup.
Laut klassischer Definition ist eine Vinaigrette, abgeleitet vom französischen „vinaigre“ für Essig, eine kalte Sauce aus Essig, Öl, Salz und Pfeffer sowie – je nach Anwendung – weiteren Zutaten wie Kräutern, Senf, Zucker, Honig, Kapern, Gewürzen, Zwiebel, Knoblauch, Sherry. Voraussetzung einer glücklichen Ehe von Essig und Öl als Yin und Yang einer gleichermaßen schmackhaften wie spannenden Küche ist beste Qualität, ergänzt mit Fingerspitzengefühl für die Dosierung. Nicht wenige Köchinnen und Köche, auch professionelle, meinen ja, irgendein Essig und Öl nebst Salz und Pfeffer genüge, um Salate anzumachen. Hauptsache sauer! Aber so wenig wie aus einem Ackergaul ein Rennpferd wird, so unmöglich ist es, aus minderem Essig und fadem Öl eine erstklassige Vinaigrette zu mixen. Der deutsche Dramatiker Friedrich Hebbel hatte schon im 19. Jahrhundert das alltägliche Malheur mit vielen Tausenden unzulänglich komponierter Salate glossierend angeprangert: „Wenn man montags grüne Blätter zu sich nimmt, dienstags Essig und am Mittwoch Öl, kann man dann donnerstags sagen, man habe Salat gegessen?“
Die Kochkunst, so kann man in einem „Kochkunst und Tafelwesen“ betitelten Journal aus dem späten 19. Jahrhundert lesen, sei „die einzige Kunst, die der allgemeinen Menschheit zum wirklichen Bedürfnis geworden ist und ohne welche das Dasein schier unerträglich werden würde“. Das ist wohl ein wenig umständlich formuliert, doch stimmig auch in der Fortsetzung, wenn der Autor schreibt: „Beim Armen und Reichen, am einfachen Familientisch und an der Fürstentafel, im soliden Bierlokal sowie im luxuriösen Weinrestaurant, überall ist diese schöne Kunst imstande, ein göttliches Gefühl inneren Wohlbehagens auszulösen.“
Das schafft, um ein Beispiel anzuführen, die Ei-Kapern-Vinaigrette von Hans Stefan Steinheuer, dem Zweisternekoch aus Bad Neuenahr. Dessen Kreation paßt zu Fleisch und Sülzen gleichermaßen gut wie zu Salaten (siehe das Gericht der Woche).
Seit selbst der biederste Wochenmarkt ein buntes Salatprogramm anbietet, vom kalifornischen Eisbergsalat, den Zuckerhut und die intensiv würzige Rauke (vulgo Rukola) sowie die pikante Brunnenkresse bis zum wiederentdeckten Lollo Rosso nebst dessen grünem Vetter, dem geschmacklich nahezu identischen Lollo Bianco, kann man den Salat farblich auf das Kleid seiner Lieblingsfrau abstimmen oder sonstwie nach modischen und auch emotionalen Aspekten komponieren. Die früher übliche Norm des schlichten Grüns ist durchbrochen, der Kopfsalat nicht länger allein regierender Monopolist. Heute schwelgt der Salat-Afficionado je nach Anlass und Stimmung in Rosa-Lila oder barock in Gelb-Grün-Rot. Rot allein kann apart sein und ein Gelb in vielen Schattierungen, wie man es sich mit Frisée und dem milden weißen Löwenzahn auf den Teller zaubert, ist ein eleganter optischer Effekt.
Solche Salate sind nicht nur schön anzuschauen. Sie schmecken und sind obendrein noch gesund. Zwar sollte man den Wert von Zuchtsalaten nicht übertreiben, aber frische Salate enthalten – wie alle Pflanzen – außer viel Wasser, Aminosäuren, Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen auch Tausende sogenannter Sekundärverbindungen wie beispielsweise Farb- und Bitterstoffe, die durchaus funktionale Wirkung haben und dem Organismus gut tun. Zudem bietet Salat vernachlässigenswert wenige Kalorien. Konträr zu industriell in Plastikfolie abgepackten und länger gelagerten Salaten aus dem Gewächshaus gilt vor allem für Wildsalate, daß sie sogar das antioxidative Potential des Blutes stärken können. Und mit der Vinaigrette kommen weitere wertvolle Inhaltsstoffe hinzu.
Selbstverständlich ist auch die Endivie, die gute Alte, nicht zu verachten. Im Verein mit ziemlich weich gekochten, unbedingt lauwarm angerichteten Kartoffeln und einer Vinaigrette mit reichlichem Hauch Knoblauch ergibt sie einen Salat, der an rustikaler Delikatesse noch gewinnt, läßt man ein weich gekochtes Ei darüber fließen. Und der Rapunzel, der auf manchen Bergwiesen zwergenklein bis in den Mai hinein wächst, lässt sich an nussigem Aroma von keinem neumodischen Blatt überbieten. Das sind Klassiker, auf die ein Gourmet nie verzichten wird. Doch ist er ebenso dankbar für die vielen neuen Salatzierden wie beispielsweise den schlicht auftretenden, auch Lattich genannten Römersalat, den fleischigen Portulak oder den postmodern verspielten Eichblattsalat. Einem kräftigen grünen Wuschelkopf ähnelt der „Frillice“, auch „krauses Eis“ genannt, eine Kreuzung aus Frisée und Eisbergsalat mit zartbitterem Aroma nebst knackigem Biß.
Dass man die Kunst der Salatzubereitung zum einträglichen Beruf machen kann, hat der Marquis d`Albignac bewiesen, der während der Französischen Revolution nach England emigrierte und reich wurde, indem er den Gourmets unter den englischen Lords den Salat anrichtete. Er reiste im eigenen Wagen und ein Diener trug ihm in einem Mahagonikasten alle Zutaten nach, die er für seine Arbeit benötigte. Das Repertoire umfasste mehrere Sorten Öl und Essig, ferner Gewürze, Salz, Pfeffer, Kaviar, Trüffel, Sardellen, Kapern, feine Kräuter, hart gekochte Eier, Eigelb und dick eingekochten Fleischsaft namens „glace de viande“. Der Marquis avancierte bald zu einem der gesuchtesten Männer der Londoner Gesellschaft und kehrte nach einigen Jahren mit einem ansehnlichen Vermögen in seine Heimat zurück.
„Alles Salat“, das kann auch bedeuten: „alles paletti“.
Karl- F. Lietz