Sie ist das am meisten geschmähte Gemüse, banalisiert vom Volksmund und diskriminiert durch Bilder wie das von der „Gurkerei“ im Fußball, der „Saure-Gurken-Zeit“ für nachrichtenarme Tage oder der „Gurke“ als Schmähwort für ein müdes Auto. Im alten Berlin kam die „Jurke“ als „Beamtenwurst“ auf den Markt – auch nicht gerade ein Zeichen von Würde. Hoffmann v. Fallersleben, der Dichter der deutschen Nationalhymne, räsonierte: „Gute Antwort kann mancher Magen noch weniger als Gurkensalat vertragen.“
Wie wahr, vielen Menschen stößt die Frucht nach dem Genuß auf, was daran liegt, dass sie unreif geerntet wird. Im reifen Zustand ist sie nämlich gelb und neigt zur Fäulnis. Das wiederum hat Jean Paul, den Meister der subtilen Sprache und offensichtlichen Kenner der Materie, zu dem Verdikt veranlaßt: „Menschen und Gurken taugen nichts, wenn sie reif sind.“
Grausam urteilte auch Carl Friedrich von Rumohr, der deutsche Kulturhistoriker und namhafte Gastrosoph, der die Gurke in seinem lesenswerten „Geist der Kochkunst“ (1832) als „gleichgültige Frucht“ schmäht, die allenfalls in gesottenem Zustand ein „verträgliches Zugemüse“ abgebe. Und einige Jahrzehnte später urteilen Robert Habs und Leopold Rosner in ihrem „Appetit-Lexikon“ (1894) nur geringfügig milder: „Als Gemüse hat die Gurke stets etwas Fades und wird mit Recht von der guten Tafel ferngehalten.“
Spöttischer noch klingt die Empfehlung eines englischen Arztes, der meinte, die Gurke gehöre aufgeschnitten, gepfeffert, gesalzen und dann wegen ihres niedrigen Nährwertes aus dem Fenster geworfen. Das hat der römische Kaiser Tiberius anders gesehen, der die Gurke laut einem Bericht von Plinius als besonderen Leckerbissen geschätzt und die Frucht von seinen Gärtnern in einer Art fahrbarem Gewächshaus an „hangenden Mistbeeten“ kultivieren ließ.
Die kaiserliche Gurke dürfte freilich mehr Aroma gehabt haben und jenen zarten, aber geschmacklich bedeutenden Edelbitterton, der heutigen Gewächsgurken längst weggezüchtet worden ist – wie die ursprünglich keulenförmige Form mit den kleinen warzenähnlichen Noppen obendrauf. Biologisch gezogene Bauerngurken lassen sich hingegen als Suppe oder Salat, gefüllt mit Hackfleisch, geschmort, frittiert, zu Chutney verarbeitet oder sauer eingelegt, kulinarisch rühmen. Mit Joghurt im griechischen Tsatsiki oder als Bauernsalat, in der spanischen Gazpacho, der osteuropäischen Kaltschale und als saftiger Partner eines süddeutschen Erdäpfelsalats gefällt die Gurke als sommerliche Erfrischung. Im Longdrink namens Pimms No.1 ist sie, spiralig geschnitten, ebenso unentbehrlich wie als Scheibchen im Gin Tonic, wie ihn die englischen Royals schätzen.
Ein idealer Mitternachtssnack ist ein Schinkenbrot mit eingelegten Gurken – da kommen die berühmten, kunstvoll marinierten Spreewälder ins Spiel, denen obendrein eine heilende Wirkung bei der Bekämpfung eines Katers nach durchzechter Nacht zugeschrieben wird: „Was klärt den Kopp bei Mann und Frau? Saure Gurken aus Lübbenau!“
Ein weiterer positiver Aspekt betrifft die Gesundheit. Zwar besteht die Gurke aus bis zu 97 Prozent Wasser und ist mit acht bis fünfzehn Kalorien pro hundert Gramm schlanker noch als Spargel, doch verfügt sie über einen hohen Anteil an Vitaminen und Mineralien. Das animiert wohl auch den deutschen Verbraucher: Pro Jahr werden hierzulande mehr als 50 000 Tonnen der lateinisch Cucumis sativus genannten Frucht verzehrt. In der Küche ist die mit dem Kürbis verwandte Gurke, zumal die im Freiland gezogene, vielseitiger verwendbar als gemeinhin angenommen; Hauptsaison sind die Monate zwischen Juli und September.
Schmorgurkenragout mit Krebsen
Ein Klassiker der feinen Küche ist ein Schmorgurkenragout mit Krebsen: Für vier Portionen eine entkernte Gurke in kleine Stücke schneiden, salzen und mit etwas Gemüsebrühe zugedeckt acht bis zehn Minuten bei milder Hitze schmoren. In einem Sieb abtropfen lassen, die Gurken mit dem Fleisch von gut 20 abgekochten Krebsen in einer zuvor (aus zerstoßenen Schalen, Köpfen, Krebsfleisch) in Butter und Weißwein nebst Creme fraiche bereiteten Sauce kurz erhitzen, mit Salz und Pfeffer würzen, gehackten Dill hinzufügen, ein Gläschen Armagnac (oder Cognac) einrühren und mit Reis auftischen.
Ein Liebhaber der Gurke war der unvergessene Koch Klaus Trebes aus Frankfurt. Ein Gurkensalat dufte bei ihm „ruhig flüssig“ sein, er drückte das Wasser nicht aus, es erfreute ihn mit Frische und Duft. Seine legendär gewordene kalte Suppe bereitete er so zu: Gartengurken schälen und entkernen. Einen Teil klein würfeln, die andere Hälfte mit Joghurt, Hühnerbrühe, Salz, Pfeffer, Dill sowie einem Schuß Pastis gut mixen und zusammen mit den Gurkenwürfeln, saurer Sahne und gezupftem Dill servieren. Zum noblen St. Petersburger Süppchen avancierte die Kreation, indem sie über einen Löffel Kaviar, kleine Würfel von rohem Lachs sowie Räucherlachs gegossen und mit Sauerrahm vollendet wurde.
Kafel