Es gleicht einer expressionistischen Orgie in Formen und Farben, was sich zur Kürbisernte auf den Feldern abspielt. Es gibt keine sinnlichere Frucht als den Kürbis, diesen nahrhaften Koloß, in süddeutschen Regionen schlicht Plutzer genannt. Etliche Gemälde verweisen auf erotische Signale; man entdeckt den Kürbis in Stilleben und Madonnenbildern oder Szenen wie der Versuchung des Adams. Es ist diese üppige Formenvielfalt, die Bewunderung ebenso erregt wie Abscheu, und bei der „fête du potiron“, dem Fest zu Ehren des Riesenkürbis, das einst in den alten Markthallen von Paris gefeiert worden ist, ging es bohemienhaft zu. Rein dem Genuß gewidmet ist das „Fest der Dickköpfe“ im Oktober in Venzone (Friaul), wo sich – wie übrigens auch in Brandenburg sowie süddeutschen und österreichischen Regionen – künstlerisch wie kulinarisch im Herbst alles um den Kürbis dreht.
Kürbisse sind nun mal wie das pralle Leben: rund, bunt, lecker. Die Cucurbitologen, also die Kürbisforscher, unterscheiden schätzungsweise 960 Arten, schillernd in allen Regenbogenfarben. Ein Kürbis, Pumpkin auf Englisch, Courge oder Potiron im Französischen, Zucca in Ialien und Calabaza auf Spanisch, bei den Lateinern heißt er Cucurbita, kann klobig so wie zierlich gewachsen, dick so wie dünn geformt sein, blaß, fleckig, monochrom oder farbig wild gemustert leuchten. Es gibt ihn rund, oval und länglich, flaschenförmig, turbanähnlich, dick wie ein Faß, aber auch schlangengleich, warzig, gerippt und glatt. Der Kürbis erlaubt sich jegliche Spielerei und sorgt prompt für Aufsehen.
Die einen nutzen den Kürbis, den es von Orangengröße bis zum zentnerschweren Trumm in zahlreichen Formen gibt, als Skulptur. Andere höhlen ihn aus, schnitzen Fratzen in die Schale und machen einen Lampion daraus. Unentbehrlich ist die zu höllisch oder fröhlich grinsenden Grimassen geformte Frucht bei Halloween, dem „All Hallows‘ Eve“, wie der Abend vor Allerheiligen auch genannt wird, dieses alte, keltisch-irische Totenfest mit dünner christlicher Hülle. Den Mayas war der Kürbis ein heiliges Kultobjekt, die Künstler der Renaissance sahen ihn als Symbol des Herbstes. Afrikaner sowie Inder schnitzen sich den vielfältig geformten und entfleischten Korpus als Resonanzboden für Musikinstrumente zurecht, während Flaschenkürbisse auf dem Balkan zu Kniegeigen verarbeitet worden sind.
Ernährungswissenschaftler wiederum rühmen den gesundheitlichen Aspekt, und auch der Feinschmecker denkt weniger an Zierde oder Halloween. In der Küche wird der Kürbis als schmackhaftes Gemüse geschätzt, das auf vielerlei Art zubereitet werden kann – und an Raffinesse gewinnt, wenn man der Frucht aromatische Kontrapunkte entgegen setzt. Vor allem der braune Zimtkürbis, der fruchtsüßliche Muskatkürbis, die birnenförmige Butternuß mit festem Fleisch, der hocharomatische, flache, in den Farben gelb, grün und orange auftretende Patisson (auch Ufo oder Bischofsmütze genannt), der grünschalige Melonenkürbis mit dem orangefarbenen Fruchtfleisch oder der seltenere, geschmacklich ein wenig der Süßkartoffel ähnelnde Gorgonzolakürbis sind in der Küche vielfach verwendbar, von der Suppe über Salat, Gratin, Marmelade, Ketchup und Chutney bis hin zu einem köstlichen Soufflé.
Das Vorurteil, dass bei den Kürbissen einer wie der andere schmecke, widerlegen auch so schmackhafte Sorten wie der leicht kugelig auftretende Nizzakürbis (Rondini) und der gerippte Jack O’Lantern. Zart, süß und geschmacklich der Kastanie nahe ist der „Sweet Dumpling“, nussige Noten bietet der tatsächlich der Baumfrucht ähnelnde Eichelkürbis mit seiner milden Süße. Bereits zum Klassiker hat es der zwiebelförmige, in Japan gezüchtete Edelkürbis namens Hokkaido gebracht, was außer an seinem delikaten Geschmack auch daran liegt, dass er mitsamt seiner orangenen Schale faserlos genießbar ist. Ein Kuriosum ist der meist cremefarbene, auch als Orangetti bekannte Spaghettikürbis: nach dem Kochen (als Ganzes im Backofen oder einem großen Topf, mindestens 40 Minuten laut Experten) entfaltet sich das Fruchtfleisch nudelförmig und lässt sich wie eine Pasta mit Tomatensauce und Parmesan als „à la Bolognese“ auftischen.
Drei erlesene Kürbisrezepte:
Kürbiscurry mit Zwetschgen:
Ein halbes Kilo Kürbisfleisch in Würfel schneiden, in Olivenöl anschwitzen und einen Esslöffel Rosinen, drei geviertelte Zwetschgen sowie ein frisches Lorbeerblatt dazugeben. Nun einen Eßlöffel milden Curry und den Saft von einer Zitrone einrühren, danach einen Achtelliter Sahne zugießen. Sobald der Kürbis weich ist, aber noch bißfest, kann man einige Spalten gehäutete Tomaten unterheben – und servieren mit Basmatireis.
Kürbissamtsuppe:
Diese Suppe hat der leider viel zu früh verstorbene Helmut Thieltges in seinem Dreisternelokal „Waldhotel Sonnora“ in Dreis oberhalb der Mosel kreiert. Kürbisstücke, Schalottenwürfel, weißer Port, Orangensaft, frisch gehackter Ingwer, Geflügelbrühe, Crème Double und Muskat werden sämig gekocht. „Das mache ich natürlich freihändig“, lächelt der Koch und ermutigt Hobbyköche, es ihm gleich zu tun. In die Suppentasse gibt der Meister einige Tropfen Kürbiskernöl und ein wenig gehackte Kürbiskerne, dann kommt die Suppe dazu – und eine gebratene Jakobsmuschel macht sich obendrauf ebenso schmuck wie schmackhaft.
Indischer Kürbistopf mit Lamm:
Ein Kilo Lammfleisch von Keule und Schulter, grob gestückelt, in heißem Öl anbraten. Dazu zwei Zwiebeln, fein gehackt, geben. Sodann mit zwei Knoblauchzehen, gepresst, frisch geriebenem Ingwer, Chilipulver, Kardamom, zwei Stangen Zimt und Salz kräftig würzen. Ein wenig Wasser zugeben. Besser noch: Weißwein. Mild schmoren, sehr mild. Eine gute halbe Stunde oder länger. Wenn das Fleisch fast gar ist, ein Kilo Kürbiswürfel und je zwanzig Gramm Mandeln, Pistazien und Rosinen dazugeben. Noch ein Viertelstündchen köcheln; die Kürbisstücke sollen nur glasig werden, also knackig bleiben, nicht zerfallen. Mit Safranreis heiß anrichten. Das macht vier Esser so glücklich, dass sie vom Käse hernach vermutlich nichts wissen wollen und das Dessert noch eine Weile hinausgeschoben sehen möchten.
Man kann am Kürbis also viel Freude haben. Beispielsweise mit einer Suppe. Nun gibt es zwar so viele Rezepte für Kürbissuppen wie Köche, doch ein Grundmuster kann so aussehen, berechnet für vier Personen: Ein knappes Kilo Kürbisfleisch würfelig schneiden und in einem Topf mit einer feingehackten Zwiebel in Butter andünsten, eventuell angereichert mit Knoblauch. Mit einem Viertelliter Weißwein ablöschen (Riesling, Weißburgunder, Sylvaner), bis zu einem Liter Gemüse-, Rinder- oder Hühnerbrühe nach und nach dazugießen und den Kürbis darin weich köcheln lassen.
Welche Brühe man verwendet, das ist Geschmackssache – oder Zufallssache, man nimmt, was vorrätig ist. Cirka eine halbe Stunde lang köcheln lassen, bis der Kürbis weich ist. Dann alles glatt pürieren, mit Cayenne-Pfeffer, Salz, Sahne, etwas Zitronensaft abschmecken und mit frischgerösteten Croutons oder Krabben anreichern. Man kann auch dünn geschälten Ingwer mitköcheln lassen oder auf italienisch mit Salbei würzen, zerbröselte Amarettiplätzchen in die Brühe streuen und zum Schluss mit einem Schuss Mandellikör, Balsamessig, geriebenem Parmesan abschmecken und die Suppe kräftig mit Olivenöl beträufeln. So mancher Profi-Koch – Geheimtipp! – läßt seine Suppe besonders goldgelb leuchten, indem er ein paar Safranfäden hinzufügt oder zwei Eidotter kurz vor dem Servieren auf kleiner Flamme einrührt. Der geschmacklichen Vervollkommnung dienen auch einige Tropfen Kürbiskernöl, großzügig darüber geträufelt.
Köstlich schmeckt ein Kürbisgemüse, das sich so zubereiten lässt wie die Suppe, nur dass man deutlich weniger Flüssigkeit zusetzt und das Kürbisfleisch nicht püriert. Gewürzt werden kann mit Petersilie, Balsamico-Essig und Olivenöl. Auch eine Prise Zucker und etwas Orangenschale wird dem Kürbis gut tun. Eine andere Variante ist die, dass man drei Millimeter dünne Kürbisscheiben auf beiden Seiten in Butter oder Öl rasch anbrät und dazu eine aus Olivenöl, Balsamessig, Thymian, Cayenne-Pfeffer, Salz und Tomatenwürfeln komponierte Vinaigrette serviert. Delikat und optisch obendrein ein Fest für das Auge ist ein Kürbissalat: Kürbis weich köcheln, Fruchtfleisch herausnehmen, klein schneiden, mit Zwiebelringen und Streifen von Räucherlachs mischen, Vinaigrette darüber geben, ziehen lassen. Derweil rohe Kürbisstücke in Öl anbraten, salzen, pfeffern, mit Estragonblättern bestreuen und über den Salat geben, zu dem Pellkartoffeln und saure Sahne mit Schnittlauch gereicht werden.
Ofenkürbis mit Orange und Gewürzen:
Ein Kilo Hokkaido oder Butternuß entkernen, großzügig in Spalten schneiden und auf ein Backblech (oder in eine Gratinform) legen, mit Salz, Pfeffer sowie einer Prise braunem Zucker würzen, mit Olivenöl (gute vier Eßlöffel) und dem Saft einer Orange oder Limette beträufeln, des Weiteren 50 Gramm frischen, in dünne Scheiben geschnittenen Ingwer nebst drei angedrückten Knoblauchzehen dazu geben und alles mit einer Alufolie zugedeckt im Ofen bei 200 Grad cirka 25 bis 35 Minuten schmoren lassen. Nach persönlichem Gusto kann man vor dem Garprozeß noch eine bis zwei Chilischoten, feinst geschnitten, ein Zweiglein Koriander, Kardamom oder eine Zimtstange hinzufügen, auch mit etwas Safran anreichern. So ein Ofenkürbis schmeckt pur, vielleicht aromatisiert mit etwas Balsamessig und Kürbiskernöl, und er eignet sich als Beilage zu Steaks, Fisch und Geflügel.
Stets eine Wonne ist ein Kürbissoufflé: 300 Gramm kleingeschnittenes Kürbisfleisch mit Butter, Salz, Pfeffer und einem Achtelliter Gemüsefond dünsten, passieren und einköcheln lassen. Nach dem Abkühlen ein Eigelb dazugeben und steif geschlagenen Schnee von zwei Eiweiß darunter ziehen. In Förmchen, die zuvor mit Butter und Vollkornbrösel ausgestrichen worden sind, füllen und im Wasserbad im Ofen bei 200 Grad cirka 20 Minuten lang hochgehen lassen. Für ein Risotto wird der Reis – wie üblich – erst einmal in Butter oder Olivenöl glasig angedünstet und mit einer Liaison aus Weißwein und Gemüsebrühe aufgefüllt. Umrühren! Parallel klein gewürfeltes Kürbisfleisch mit fein gehackter Schalotte nebst Thymian in Olivenöl gar schmoren, mit dem fertig gedünsteten Reis vermengen, abschmecken (Salz, Pfeffer, Parmesan, eventuell Petersilie) und mit Kürbiskernöl überträufeln.
Für eine Kürbismarmelade empfiehlt sich die Partnerschaft mit Orangen und Vanillemark – das peppt auf. Ein Lichtblick ist der Kürbis obendrein aus medizinischer Sicht, denn das Fleisch enthält so gut wie kein Fett und kaum Cholesterin, auch wenig Kalorien (cirka 25 pro 100 Gramm), dafür jede Menge Kalzium, Eisen und Phosphor, Karotin, Provitamin A und Vitamin E. Praktisch ist zudem, dass ein intakter Esskürbis im kühlen Keller wochenlang, je nach Sorte auch über Monate hinweg als Vorrat gehalten werden kann. Auch einfrieren ist eine Lösung: Fruchtfleisch entkernen und entweder roh in Würfel schneiden oder in etwas Wasser weich dämpfen, danach pürieren, einpacken und ab in den Tiefkühler. Auch ein Zierkürbis bleibt übrigens lange eine Zierde, bis er langsam und von innen her austrocknet. Dann erst verliert er sein glattes Vollmondgesicht, wird er runzlig und man versteht, weshalb er den Malern von Stilleben als Symbol des prallen Lebens, der Maßlosigkeit und zugleich der Vergänglichkeit diente.
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Titelbild: Kürbissuppe; Bild von congerdesign auf Pixabay
kafl