Ein grünes Soßenspektakel der besonderen Art findet jeden Mai am Frankfurter Roßmarkt statt. Eingebettet in ein kulturelles Rahmenprogramm aus Comedy, Kabarett und Musik präsentieren Köche ihre Version einer Grünen Soße. Das Publikum kann die Rezepte verkosten und mittels einer Stimmkarte den jeweiligen Tagessieger ermitteln. Im Finale wird dann der König dieser klassischen Frankfurter Spezialität gekürt. (Details gibt es unter: www.gruene-sosse-festival.de).
Man muss kein dickes Kräuterlexikon studiert haben, um zu wissen, dass die grünende Natur eine große Apotheke ist und der wunderbarste Selbstbedienungsmarkt für gesundheitsbewusste Feinschmecker. Ein paar Grundkenntnisse, ein offenes Auge und ein Taschenmesser oder eine Schere genügen, um jetzt im Frühling bei Spaziergängen über Wiesen, durch Wälder und entlang an Bachläufen essbare Wildpflanzen zu ernten. Gesät hat der liebe Gott: Brennnessel, Bärlauch, Löwenzahn, Gänseblümchen, Brunnenkresse, Sauerampfer, Wiesenkerbel, Spitzwegerich, Schafgarbe, Fette Henne und so weiter.
Gänseblümchen schmücken und würzen Kartoffelsuppen. Der skurill sich spreizende Löwenzahl mit dem edelbitteren Aroma macht sich gut im Verein mit lauwarmem Erdäpfelsalat. Die jungen, zarten Blätter des Sauerampfers bereichern Salate, Suppen, Saucen. Kleine Brennessel: delikat als Gemüse (wie Spinat) oder, klein gehackt, in Suppen und Salaten. Brunnenkresse: prickelnde Würze zu Salaten, Quark, Kartoffeln, hellen Saucen – obendrein sehr gesund, weil reich an Vitaminen, Eisen, Jod – und macht, wie es in einem Kräuterbuch aus dem 16. Jahrhundert verheißungsvoll heißt, Zecher „munter und wacker“. Wie schön!
Ein sozusagen grüner Klassiker ist die Grüne Soße, dieses köstliche Mix aus diversen Kräutern zu gekochtem Rindfleisch, Spargel, Kartoffeln, Eier, Fisch, Quark & Co. Von den schätzungsweise 1001 Saucen, die es weltweit gibt, ist freilich keine so umstritten wie die Grüne Soße. Zumal bei Frankfurter Soßenpuristen eckt man sofort an, wenn auch nur eine Zutat genannt wird, die nicht in die mittlerweile sogar amtlich geschützte Rezeptur paßt. Im berühmten „Kochkunstführer“ von Escoffier, dem Starkoch der Belle Epoque, ist die „Grie Soß“, wie sie von den Frankfurtern genannt wird, ebenso wenig aufgeführt wie unter den knapp 600 Saucen in „Hering’s Lexikon der Küche“. Die französische „Sauce verte“, was ja grüne Sauce heißt, ist registriert, auch eine „Sauce Allemande“ (Samtsauce mit Muskat, Eigelb, Champignonfond, Butter) findet sich, aber keine Frankfurter „Grie Soß“.
Grüne Soße in der Goethezeit
Laut handschriftlichen Rezepten aus der Goethezeit hat man die gehackten Kräuter einige Zeit in Essig und Öl ziehen lassen, danach wurde das zerdrückte Eigelb nebst Gewürzen und saurer Sahne hinzugefügt und die fertig gerührte Soße durch ein feines Sieb gestrichen. Erschien sie dem Koch oder der Köchin dann noch nicht grün genug, wurde sie kurzerhand mit Spinatsaft dunkler gefärbt. Auch bei der Wahl der Kräuter war man nicht pingelig; man hackte in die Soße, was grün war. Außer den glorreichen Sieben, wie die quasi offiziell erlaubten klassischen Kräuter heute gerne genannt werden, waren als Zugaben auch Portulak, Majoran, Geißfuß, Fetthenne & Co beliebt. Selbst Spinat und saure Gürkchen sollen damals integriert worden sein.
Im privaten Kochbuch der mit Goethe verwandten Frau Rat Sophie Schlosser ist eine „Grüne Sauce zum Ochsenfleisch“ aufgeführt: „Für drei Personen werden drei hart gesottene Eier bereitet. Das Gelbe wird fein zerdrückt, mit Salz und Pfeffer gewürzt und mit anderthalb Löffel Öl, einem Löffel Essig und einem halben Löffelchen Senf vermischt. Alsdann werden fein gewiegt: Petersilie, Boretsch, Pimpernel, Estragon und gut unter die Masse gerührt. Je nach der Dicke des sauren Rahms kommen drei bis vier Löffel darunter. Die Sauce wird durch ein Sieb gedrückt und die Kräuter, die sich nicht durchdrücken, weggelassen.“ Weil Johann Wolfgang von Goethe, immerhin der berühmteste Frankfurter, nachgesagt wird, er sei ein Liebhaber der grünen Soße gewesen, wird quasi in kulinarischer Sippenhaft seine Mutter Aja als Erfinderin dieser Kräutersauce gerühmt. Das ist allerdings eine nette Legende, mehr nicht.
Kräutersoßen sind tatsächlich seit Jahrtausenden bekannt. Die italienische „Salsa verde“, was ja nichts anderes heißt als eben grüne Sauce, war in ihrer Urform bereits den Römern geläufig. Folgerichtig lautet eine Erklärung für die historische Wurzel der grünen Soße, daß die seit 1772 in Frankfurt ansässige italienische Handelsfamilie Bolongaro das Rezept mitgebracht habe. Andere Quellen wiederum verweisen auf die französische „Sauce verte“ als Mitbringsel von Hugenotten im 17. und 18. Jahrhundert. Das klingt alles plausibel, doch die Wahrheit wurzelt tiefer: Im 1581 von einem Meister Sebastian präsentierten Buch „Koch und Kellermeysterei“ findet sich eine „Gut grün Salsen von Kräutern“, angemacht u. a. mit Pfefferkraut und Essig, aber auch mit geriebenem Lebkuchen. Salse, abgeleitet vom lateinischen „Sal“ für Salz, war damals das deutsche Wort für Sauce.
Das Rezept der Frau Schlosser, die übrigens das französische „Sauce“ verwendet, ähnelt stark der „Grie Soß“, doch Frankfurter Soße-Puristen schreien gequält auf, wenn Estragon in ihr Heiligtum gerupft wird. Auch Schalotten, Gewürzgurken, gar Basilikum oder Dill werden strikt abgelehnt. Die echte Frankfurter Grüne Soße, so heißt es, bestehe aus sieben heiligen Kräutern: Petersilie (vorgezogen wird die krause Variante, obwohl die glatte aromatischer ist), Kerbel, Sauerampfer, Pimpernelle, Borretsch, Gartenkresse (auch Pfefferkraut genannt) und Schnittlauch. Weil die Kresse in den Fertigpackungen oft zu sparsam eingesackt wird, empfehlen Kenner, zusätzlich etwas Kresse einzuplanen, um der Soße mehr Pikanterie zu verleihen.
Die Kräuter werden sehr fein gehackt, wobei es zum allerliebsten Zank kommen kann, ob das mit einer Küchenmaschine geschehen darf oder nicht. Die hochtourige Technik eines Mixers würde die wertvollen ätherischen Öle vorzeitig verschleudern, und der Schneidwolf zerquetsche sie, monieren die Puristen. Akzeptiert wird von gusseisernen Traditionalisten nur das Wiegemesser. Dann das Gelbe von vier hartgekochten Eiern mit einem Esslöffel Senf zermatschen, mit einem Deziliter (dl) Nuss- oder Olivenöl wie eine Mayonnaise aufschlagen und drei oder mehr Deziliter saure Sahne dazurühren (wer’s kalorienärmer haben will, kann auch Yoghurt nehmen). Nun die Kräuter hinzu fügen, mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft (oder feinstem Weinessig, keinem Balsamico!) abschmecken.
Diese authentische „Grie Soß“ – die Kräuter gibt es übrigens in grünbedrucktem Papier abgepackt für ca. zwei Euro zu kaufen – , genießt der Hesse zu hartgekochten Eiern, Tafelspitz, Pellkartoffeln, pochiertem Fisch und derlei lukullischen Vulgaritäten.